JA, MIA SAN MIM RADL DO

Nach zwei Frühaufstehertagen ist erstmal ausschlafen angesagt. Aber um 7 treibt es mich dann doch schon wieder aus den Federn, um mich todesmutig mit Fahrrad in den kambodschanischen Straßenverkehr zu stürzen. Im Ausleih-Office ordere ich dreimal laut ein Mountainbike, anstelle der klapprigen Stadträder. Nachdem endlich alle Formalitäten erledigt sind, der Sonderpreis für zwei Tage ausgehandelt und alles unterschrieben ist, darf ich mir eines der… Stadträder auswählen. Hallo, hört hier mal jemand zu?! Neue Preisverhandlungen folgen, schließlich sei das MTB für mich zu gefährlich. Oha, sehe ich inzwischen so alt und unsportlich aus? Das gibt mir zu bedenken. Pläne von Siem Reap, geschweige denn Fahrradrouten für Touristen, gibt es nicht. Einzig ein Plan von Angkor Wat kann ich ergattern.

Nun aber endlich raus in den Straßendschungel, wo überall zu jeder Zeit Gefahren lauern. Ich habe Folgendes gelernt:

● Stop-Schilder sind zwar vorhanden, haben aber keine Funktion.

● Es gibt keine linke und rechte Spur, mit Gegenverkehr über die gesamte Fahrbahnbreite ist immer und jederzeit zu rechnen.

● Fahrrad gefahren wird nach Einbruch der Dunkelheit generell ohne Beleuchtung. Ich vermute, in Kambodscha hat die Wortkombination „Rad gefahren“ direkt symbolische Bedeutung. Mopeds schließen sich häufig diesem Tarnverhalten an.

● Es gibt keine Straßenschilder (zumindest keine für uns lesbaren) und auch keine Ortswegweiser.

● Jeder Farang kann einen eventuell mal ergatterten Stadtplan besser lesen, als jeder Einheimische.

● Jeder Tourist sollte wissen, wo sein Bett steht. Eine mitgebrachte Visitenkarte reicht zur Lokalisierung nicht aus.

● Mopedfahrer müssen Helm tragen, die 3-4 Beifahrer einschließlich Babys und Kleinkinder offensichtlich nicht.

● Es gibt keine Mitfahrbegrenzung, was drauf passt, kann mitgenommen werden. Trifft auf Waren und Menschen gleichermaßen zu.

● Immer und überall gilt das Reißverschlussprinzip, nie stehen bleiben, sondern mitreiben lassen.

● Kreuzungen überquert man vorzugsweise im Windschatten eines Tuk-Tuks.

Mein erster Ausflug soll zum Angkor Artisans Center gehen,  aber irgendwie scheint mir, dass ich schon wieder zu weit gefahren bin. Unter Zuhilfenahme und in Kombination aller modernen Medien und Techniken wie Tripadvisor, Google Maps, Lonely Planet und GPS kann ich meine Position orten und die neue Richtung einschlagen. Ein sich wiederholender Vorgang, den ich schon daheim beim Radlfahren total nervig finde.

Zufällig komme ich an der Tourist-Info vorbei. Auch hier sind die Stadtpläne leider vergriffen. Es gibt nur noch das vergilbte Exemplar an der Wand. Wahrscheinlich noch aus der Khmer-Zeit 😉 Aber zumindest kann er mir sagen, wie ich zum Crafts Center komme.

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Das Zentrum ist eine feine Sache. Dort werden junge, talentierte Kambodschaner zwischen 18-25 Jahren in verschiedenen traditionellen Kunsthandwerken ausgebildet (Seidenherstellung, -weben und -malerei, Steinmetzarbeiten, Töpfern etc.) Taubstumme, Behinderte und Menschen ohne Handicap arbeiten hier zusammen. Das Zentrum mit mehreren Außenstellen beschäftigt 1500 junge Leute. Man kann sich die Werkstätten anschauen und im Shop die Ergebnisse bewundern. Sehr beeindruckend!!

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Die Hitze ist jetzt schon groß und ich habe trotz Fahrtwind das Gefühl, höchst erfolgreich zu saunieren. Ich schwitze weit mehr, als daheim in der 90° Sauna. Wie halten die Einheimischen das bei diesen Temperaturen nur mit langen Ärmeln, zusätzlicher Jacke und hier und da sogar mit Pudelmütze aus? Wahrscheinlich läuft bei den Asiaten die Kühlung über die nackten Füße.

Der Weg nach Angkor Wat ist wenigstens gut zu finden, denn es geht immer geradeaus. Einmal bin ich zwar ein Stück gegen die Einbahnstraße gefahren, aber das hat niemanden gejuckt. Dieses Mal steht die große Tour auf dem Programm, um die kleineren Tempelanlagen anzuschauen. Hätte ich nun das Hirn meiner Mama geerbt, könnte ich euch jeden Tempel namentlich mit seinen Highlights aufzählen. Bei mir im Kopf ist aber nur ein Mischmasch an Impressionen, die ich mittels Fotos und Reiseführer daheim sortieren muss.

Die Wege in Angkor Wat sind fantastisch und ideal zum Raddahren, allerdings auch nicht ganz ungefährlich. Hast du alle knapp vorbeistreifenden Fahrzeuge überlebt und keinen Herzinfarkt bekommen vom überraschenden Anhupen, dann fetzt dir vielleicht von rechts ein flüchtender Makake zwischen die Räder oder es legt dich in den Treibsandstellen flach…

Mein Rad hat sogar Gangschaltung. Aber da lass ich mal lieber die Finger von, sonst springt mir womöglich noch die Kette raus.

Auch bei den weniger bekannten Tempeln gibt es einige ruhige Ecken und schöne Fotomotive

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und zum Teil auch sehr gut erhaltene Sandsteinschnitzereien

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von denen das folgende für die Forscher nach wie vor große Rätsel aufgibt. Handelt es sich hier um eine Götterverehrung oder einen Hasenkult? Wir wissen es nicht.

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Plötzlich macht es ‚ratsch‘ und ich stehe verbotenerweise nicht nur schulterfrei, sondern auch arschfrei im Allerheiligsten. Ups, notgedrungen muss mein Schultertuch nun als Rock herhalten. Zum Glück gibt’s neue Hosen für 3 $ an jeder Ecke. Nun könnte man das Reißen auf das schlechte Material der hier erstandenen Schlapperhose zurückführen. Fairerweise muss ich aber gestehen, dass wohl eher eine Kombination aus zu fetten Oberschenkeln, Schweiß und den extrem hohen Stufen hier dazu geführt hat.

Gerne hätte ich meine Studien zur Bekleidung von Touristen weitergeführt.

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Allein die Betrachtung der Fußmode könnte eine Masterarbeit abgeben. Highheels und Pömps hatte ich ja schon erwähnt. Es gibt aber auch einige Exemplare, die mit Pantoffeln unterwegs sind und extrem viele, die Socken (vorzugsweise gestreift und gemustert) in Flip-Flops tragen.

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Leider fehlt mir die Zeit, den Einfallsreichtum fototechnisch festzuhalten. Die Wege sind lang in Angkor Wat und es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Vor allem Mystisches im Abendlicht.

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Im Zusammenspiel mit den hier wild streunenden Hunden schießt mir doch glatt die Erinnerung an ‚Der Hund von Baskerville‘ in den Kopf.

Inzwischen lässt der Stand der Sonne einen perfekten Sonnenuntergang erahnen. Diesen wollte ich an dem dafür empfohlenen Tempel Pre Rup genießen.

Also gebe ich meinem Drahtesel die Sporen. Mit einer gefühlten Körpertemperatur von 80° trete ich in die Pedale und hinterlasse vermutlich einen Kondensstreifen aus 1000 Schweißperlen. Als ich ankomme (das dies noch nicht Pre Rup, sondern ein kleinerer Tempel ist, stelle ich erst später fest) steht die Sonne zwischen den Türmen wie gemalt für eine Aufnahme… doch, wen wundert es, im Treppenaufgang posen wieder die Touris. Ich hasse es!!!! Warum müssen die auf jedem Foto selbst mit drauf sein?!?

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Ich flüchte und zufällig gelingt mir dann dieser wunderschöne Schnappschuss.

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Nun bin ich wieder versöhnt. Erst recht, als ich an dem tatsächlichen Pre Rup vorbeifahre… Tausende von Touristen!! Bei Sonnenaufgang wird das nicht anders aussehen, also streiche ich diesen Programmpunkt für Morgen ersatzlos. Da bleibe ich lieber im Bett.

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Jetzt in der Nach-Sonnenuntergangs-Rush-Hour von Siem Reap geht es noch chaotischer zu. Zudem wird es in kürzester Zeit stockdunkel. Hatte ich schon erwähnt, dass es an den Rädern keine Beleuchtung gibt?! Als Pfadfinder und Bergfex hab ich natürlich meine Stirnlampe dabei. Über die alte Straße geht es durch stockdusteren Wald nach ‚Hause‘. Ein bisschen unheimlich ist das schon.

So sehen übrigens meine Füße nach einem Tag in Angkor Wat aus:

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Abends stürze ich mich noch einmal in den Nachtmarkt-Rummel. ‚Tuk-Tuk, Madam? ‚Shirt, Madam. Big size for you?‘ Die Kambodschaner sind nervig geschäftstüchtig. Kein Wunder, wenn die 50 Stände nebenan genau das gleiche Repertoire haben. T-Shirts und Schlapperhosen für 2-3 € das Stück, das sind Preise, wie es sie bei uns seit der D-Mark nicht mehr gibt (dieser Satz der ewig Gestrigen muss jetzt sein 😂)

Und die Straßen-Massagezentren erscheinen mir mehr als fragwürdig. Wo bleibt da die Entspannung?

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