Auf geht es zu der Stadt in den Wolken. Es ist Mittwoch, der 17. Mai. Der Wecker klingelt ungnädig um 3:30 Uhr. Zimmer auschecken, Lunchpaket in Empfang nehmen und sich in der Dunkelheit durch alle unerwarteten Hochsicherheits-Absperrungen des Souvenir-Marktes kämpfen. Wir haben uns in Anbetracht der fehlenden Wanderleistung am Vortag für den Aufstieg zu Fuẞ entschieden. Aber auch die Bus-Fahrer dürfen nur unsignifikant länger schlafen. Die ersten stehen um 4.15 Uhr schon in der Schlange.
Der Einlass zum Aufstieg nach Machu Picchu liegt etwas außerhalb von Aquas Calientes und öffnet um 5 Uhr. 1817 Stufen (von mir selbst nachgezählt!) warten darauf, von uns im Schein der Stirnlampen erklommen zu werden. Obwohl es noch dunkel und so früh am Tag ist, ist die Luft furchtbar schwül und feucht. Die Speed-Kletterer hetzen an uns vorbei, aber wozu die Eile, wenn man oben vorm Haupteingang wieder zuwarten muss, bis sich die Hauptpforten nach Machu Picchu öffnen. 2500 Besucher aus aller Herren Länder muss die alte Inka-Stadt täglich im wahrsten Sinne des Wortes „über sich ergehen lassen“.

Zwingend notwendig ist es, den Reisepass mitzuführen. So ganz verstehen kann ich das nicht, denn bei der Ausstellung der Eintrittstickets nehmen sie es mit den persönlichen Daten nicht so genau. Mein Name erscheint (vielleicht weil ich recht früh gebucht habe?) auf mehreren Boletos und ich bin über Nacht unwissentlich zum Mann mutiert.

Vor dem Haupteingang haben wir ausreichend Zeit unsere Lamas … äh Schäfchen zusammenzutreiben, bevor das Haupttor öffnet und uns Willi im Einbahnstraßen-Prinzip durch den archäologischen Komplex führt. Noch in der Morgendämmerung fließt der Urubamba tief unten durchs Tal – vorbei an der Hidroeléctrica Station, unserem gestrigen Wander-Ausgangspunkt nach Aquas Calientes.

Wer jetzt meint, das Treppensteigen sei mit läppischen 1817 Stufen erledigt, der hat sich getäuscht. Hier ein paar Stufen rauf, dort wieder welche runter.

Obwohl schon hunderttausendmal auf Fotos gesehen, ist es ein tolles und erhabenes Gefühl, leibhaftig hier zu stehen und die mächtige „Kunst am Berg“ mit eigenen Augen zu bestaunen. Rein was die Bauwerke angeht, so sind andere Tempel wie z.B. Angkor Wat in Kambodscha sicher spektakulärer, aber zum einen auch jüngeren Datums und zum anderen nicht in der unglaublich steilen Höhe von 2430 m erbaut.

Am Wachhaus vorbei genießen wir den Blick auf die noch fast menschenleere Schönheit von Machu Picchu und für kurze Zeit öffnet sich in der Ferne dieses wunderbare Wolkenfenster und gibt die Aussicht frei auf die peruanischen Nevados.

Es grenzt tatsächlich an ein Wunder, dass ein solch imposantes Bauwerk wie Machu Picchu von einem Volk erschaffen wurde, welches im 15. Jahrhundert weder das Rad noch Metallwerkzeuge kannte. Einziges Transportmittel war das Lama, das sich aber strikt weigert, Menschen zu tragen.
Bis heute ist unklar, wozu Machu Picchu diente. Acht Inka-Pfade führen auf den alten Berg und so wird vermutet, dass Machu Picchu ein wichtiges Zeremonialzentrum und ein Handelspunkt zwischen der Küste, dem Hochland und dem Amazonasbecken war. Über das gut ausgebaute und mit Raststätten ausgestattete Wegenetz brachten die trainierten Botenläufer (Chaski) in geradezu rasantem Tempo Nachrichten und Waren über Distanzen von rund 200 km täglich. Ein Chaski schaffte durchschnittlich 30 km im bergigen Hochland und wurde an den Stationen (Tambos) gegen ausgeruhte Läufer ausgetauscht.
Die vom Bergregenwald völlig überwucherte Stadt mit den Inka-typischen Anbauterrassen war unter Quechua-Anwohner längst bekannt. Trotzdem wird die Wiederentdeckung der heiligen Stadt dem amerikanischen Forscher Hiram Bingham zugeschrieben. Im Glauben die verlorene Stadt Vilcabamba gefunden zu haben, beginnt Hiram Bingham 1911 mit der Freilegung der geheimnisvollen Bauwerke von Machu Picchu. Seit 1983 trägt die Stadt in den Wolken den Unesco-Titel Weltkulturerbe und gehört auch zu den neuen sieben Weltwundern.
Ja, ja, das war es dann auch schon an geschichtsträchtigem Wissen für Euch. Jetzt geht es auf einen kurzen Rundgang durch Machu Picchu:

1 Die riesigen Anbauterrassen der Inkas – Treppe und Mauer trennen die landwirtschaftliche Fläche von der Stadt.
2 Durch ein ehemals verschließbares Stadttor gelangt man zu einem Bereich mit einfachen Wohnhäusern. Die Steinmetzarbeiten sind hier deutlich grober ausgeführt als in den folgenden
3 königlichen Räumen mit Wasserkanälen, Brunnen, Zeremonialbädern und dem heiligen Sonnentempel.
4 Der Heilige Hof führt zum Tempel der drei Fenster und zum Haupttempel, bevor es hinauf geht zum Ort, an dem die Sonne angebunden ist (Quechua), dem
5 Intihuatana (Sonnenstein),
6 Gegenüber liegen weitere Wohnbereiche
7 bewacht vom mächtigen und allgegenwärtigen Huayna Picchu mit einer Höhe von 2720 m.
8 Der Wirtschaftsbereich beherbergte Handwerker und Werkstätten.
9 Der Tempel des Condor schließt den Rundgang ab.
Die Feldterrassen mit Blick auf Wächterhaus und Machu Picchu Mountain (3082 m)
Der eigenartige Sonnentempel von oben
und von unten, mit präziser Steinmetzarbeit, die natürliche Felselemente nutzt
Zum Glück keine Opfergabe, sondern ein wildes Viscacha (Hasenmaus) im Sonnentempel.

Tempel der drei Fenster: Puzzle im Großformat
Haupttempel und im Hintergrund der Aufgang zum astronomischen Sonnenstein:

Phantasie ist gefragt beim Tempel des Condor.
Hier endet unsere Führung mit Willi und nach 5 gemeinsamen Tagen heißt es leider Abschied nehmen. Gewissenhaft, fürsorglich und mit einer unglaublichen Ruhe hat Willi uns über den Salkantay Pass bis nach Machu Picchu geführt und ist uns ans Herz gewachsen.
Gracias y adiós, Willi!


Nun kann jeder Machu Picchu auf eigene Faust erkunden. Einige drehen eine zweite Runde durch die Anlage oder steuern das Sonnentor an, durch welches die Inka-Trail-Wanderer herein kommen. Andreea, Doru, Mayra, Wafi und ich haben noch den Machu Picchu Mountain gebucht. Um ihn zur vorgeschriebenen Zeit zu besteigen (es gibt zwei Gruppen um 8 und um 10 Uhr), muss man erst aus der archäologischen Anlage hinaus und dann zum Haupttor wieder rein. Gelegenheit, sich gleich mal den einzigartigen Machu Picchu Stempel in den Reisepass zu stempeln.

Nach dem erneuten Anstehen am Haupteingang, geht es hinauf von 2430 m auf 3082 m. Nicht etwa auf einem Bergpfad, nein, die Inkas waren Meister im Treppen- und Stufenbau!!
Es geht los mit Treppen

Mehr Treppen

Zwischendrin auch tolle Ausblicke auf das Urubamba Tal und Machu Picchu


Sind noch ein paar Stufen… bis zum Gipfel

Wieder Treppen

Aber das Schauen nicht vergessen:


Hoch das Bein

Steile Treppen

Oh, oh, was wabert denn da umeinander?!

Das Treppentor zum Gipfel

Aussicht knapp verpasst! 😦


Eineinhalb Stunden später nach vielen, vielen ungezählten Stufen endlich der Gipfel!
Nur 15 Minuten bevor ich den Gipfel erreiche, ziehen tiefe Wolken über Machu Picchu und hüllen die Bergspitzen in weißen Nebel ein. So verpasse ich die Rundumsicht aus 3082 m Höhe nur ganz knapp. Das ist ein bisschen schade, aber ich will auch nicht undankbar sein. Bisher hatte ich wirklich sehr viel Glück mit dem Wetter in Peru.
Nach einer Pause ohne Aussicht mache ich mich auf den Rückweg. Alle Treppen wieder hinunter. Ich bin froh, meine Wanderstöcke mitgenommen zu haben. Schon beim Aufwärtsgehen habe ich einige in ihren windigen Turnschuhen und Flip-Flops straucheln sehen. Jetzt rufen welche kurz unterm Gipfel nach einem Arzt. Ein junger Mann ist gestürzt und mit dem Hinterkopf ungebremst aufgeschlagen. Er blutet stark, ist aber bei Bewusstsein. Es gibt kein Servicepersonal am Berg und keinen Handyempfang. D.h. jemand muss schnellstens absteigen und so Hilfe alarmieren. Die Sanitäter mit Trage beginnen ihren Aufstieg erst, als ich schon unten am Tor ankomme. Wie ich im Nachhinein höre, hat es drei Stunden gedauert, bis der junge Mann versorgt und abtransportiert werden konnte.
Ich kann derweil einen zweiten, geruhsamen Rundgang durch die Ruinen von Machu Picchu unternehmen. Inzwischen ist die Wolkendecke wieder aufgerissen, die Sonne scheint und der Machu Picchu Gipfel schaut frech grinsend zu mir herab.




Zum Ende des Rundgangs treffe ich wieder auf Andreea, Doru, Megan und Brad. Sie haben sich mit den Lamas zur Brotzeit verabredet. Brad packt unerlaubterweise eine Banane aus. Die findet auch das Lama super-lecker und strengt sich mächtig an, zumindest die duftende Schale zu ergattern. Brad ist ein gestandenes Mannsbild, aber das wird selbst ihm unheimlich.


Es ist herrlich, hier noch ein bisschen in der Sonne zu chillen und den Lamas zuzuschauen.



Die 1817 Stufen bergab nehmen wir mit Leichtigkeit. Noch ein kurzer Bummel durch Aquas Calientes bzw. Machu Picchu Pueblo und dann mit Sack und Pack in den PeruRail-Zug nach Ollantaytambo. Von dort geht es schon zu nächtlicher Stunde mit dem Bus nach Cusco. Ach, was gäbe ich nach so einem langen, schweißtreibenden Tag für eine warme Dusche – doch leider bleibt das Wasser im Dragonfly Hostel kalt.
Hasta la vista, baby!

Besitos!
