Lea und ich stehen also an der schnurgeraden, langen Hauptstraße von Tosor und hoffen darauf, wie schon tags zuvor in die nächste Marschrutka nach Karakol einsteigen zu können. Doch zuvor werden wir noch Zeuge einer weniger schönen Seite der Region Barskoon. Ein langer Konvoi mit grauen Gifttank-Trucks donnert so mir nichts dir nichts durchs Dorf und an unserer Nasenspitze vorbei. Ihr Ziel ist die umstrittene Goldmine von Kumtor im Baskoon-Tal. Wie schon im peruanischen Amazonas-Regenwald, so wird auch hier das Gold unter Einsatz von für Mensch und Natur höchst giftigen Chemikalien wie Blausäure oder Quecksilber gewonnen. Ein Grund mehr, auf (Gold-) Schmuck weitestgehend zu verzichten.
Die ersten Marschrutkas Richtung Karakol sind an diesem Morgen leider schon besetzt und fahren schnurstracks an uns vorbei. Plötzlich hält ein blauer Minibus am Straßenrand. Lea und ich schauen uns fragend an: Der hatte jetzt kein Schild hinter der Windschutzscheibe, oder? Ne, hatte er nicht. Die radebrechende Konversation mit dem Fahrer lässt auch nur Vermutungen zu: Fährt er privat und will sich ein Zubrot verdienen? Verlangt er 100 SOM, oder doch 200 SOM, pro Kopf oder für uns beide … ?!? Schlussendlich will er gar kein Geld und nimmt uns – einfach so -mit nach Kyzyl Suu.

In dem kleinen Städtchen steppt gerade der Bär, oder der Markt. Hupende Autos, in dritter Reihe parkende Minibusse, wuselnde Menschen und mindestens die Hälfte davon Taxifahrer, die uns eine völlig überteuerte Weiterfahrt nach Karakol für 800 SOM aufschwatzen wollen. Wir versuchen, die Haltestelle der Marschrutkas ausfindig zu machen, werden mal hierhin, mal dahin geschickt. Die Busse mit dem Karakol-Schild hinter der Scheibe sind entweder voll oder nehmen aus sonstigen Gründen keine Fahrgäste auf. Ich bin ziemlich genervt und stinkig!! Nachdem wir mit sturer Mine und den immer schwerer wiegenden Rucksäcken eine Weile durch dieses Chaos stapfen, fällt der Preis schließlich auf einigermaßen zu akzeptierende 400 SOM. Wie immer ist die erste Anfahrtstation unseres Taxis die nächste Tankstelle, wo – wer hätte es gedacht – das hälftige Fahrtgeld fällig wird. Ein weiterer Fahrgast kirgisischer Abstammung muss im Übrigen nur 100 SOM nach Karakol zahlen. Sollte man denn hier schon bemerken, dass sich die Dienstleister im östlichen und nördlichen Kirgistan rund um den Issyk Kul bereits geschäftstüchtig auf den wachsenden Tourismus eingrooven?
Aber unser Autolenker fährt zumindest sehr anständig und setzt uns ganz zentral im Stadtzentrum von Karakol ab. Hui, für uns einsamkeitsliebenden und ruheverwöhnten Reisenomaden ist hier verwirrend viel los!
Etwas orientierungslos steuern wir das nächste Café an, wo wir traditionell kirgisisch ohne jegliches Flair in einer ungemütlichen „Separé-Box“ sitzen und einen unerträglich süßen Pulver-Milchkaffee hinunterspülen. Zumindest haben wir hier WiFi und können uns via Booking.com über mögliche Guesthouse-Optionen informieren. Wir haben eine süße, kleine Pension ausfindig gemacht, sie soll nur 700 m entfernt liegen. Noch einmal gibt die Bedienung im Café ihr Bestes, rechnet erst falsch ab, um uns kurz drauf auch noch falsch rauszugeben. Na ja, Deckel drauf, maps.me an und weiter geht’s.
Wir laufen …. und suchen … und laufen … und suchen, maps.me beharrt darauf, wir seien am Ziel, aber am Ziel steht weder ein Haus mit besagter Hausnummer noch in Sichtweite ein Hinweisschild auf besagte Pension. Inzwischen sind wir weit mehr als 700 m vom Ortszentrum entfernt, also beschließen Lea und ich, doch das Neofit-Guesthouse anzusteuern, das ich wegen der hübschen Optik beim Einfahren in die Stadt aus dem Taxi fotografiert hatte. Mit dem Foto auf dem Display finden wir sogar einen Taxler, der uns und unsere Backpacks direkt vor der Haustür abliefert.


Anders als der Name es vermuten lässt, ist das Neofit kein Fitness-Tempel, sondern tatsächlich ein altehrwürdiges Hotel mit Geschichte und Tradition. Die englische Sprache ist an der Rezeption noch nicht angekommen, aber die junge Frau ist sehr bemüht. Durch einen hübschen Innenhof führt sie uns zu einem Zimmer-Ensemble mit kleinem Bad und Freisitz. Ganz hübsch – auch wenn die Zimmerausstattung neben dem Charme alter Zeiten auch den staubigen Muff vergangener Epochen ausströmt. So ein bisschen kommen wir uns vor wie am russischen Zarenhof und unsere Nylon-Rucksäcke und multifunktionalen Outdoor-Klamotten wirken wie die Invasion der Aliens.





Mächtig erleichtert um das große Rückengepäck machen wir uns auf zur Touristeninfo von Destination Karakol. Dort wollen wir uns Infos zu Wandertouren in der Region holen. Eine 4-köpfige Crew junger Menschen steht uns beratend zur Seite und wir stellen mit einem Blick auf die an der Wand hängenden Karten schnell fest, dass uns hier ob der immens vielen Möglichkeiten doch leider die Zeit ausgeht. Kurzerhand streichen wir die Weiterreise in das noch östlicher gelegene Jyrgalan und entscheiden uns für einen entspannten Wandertag in der Nähe der Felsformationen von Jeti Ögüz und eine zweitägige Tour nach Altyn Arashan. Der junge Mann reserviert uns schon mal ein Plätzchen in der Jurte.
Im angeschlossenen Fat Cat Café übergießen wir den schlechten Kaffeegeschmack von morgens mit einem richtig guten Cappuccino, bevor wir unsere Sightseeing-Tour durch Karakol starten.


Vom Destination Karakol Office schlendern wir gemütlich zur Russisch-orthodoxen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit. Sie wurde 1895 komplett aus Holz gebaut, während der Sowjetzeit aber auch als Tanzclub und Warenlager zweckentfremdet. Leider ist das Fotografieren im Innern nicht erlaubt, aber die freundliche türkis-weiß-goldene Gestaltung und die Einfachheit schaffen eine sehr wohlige Atmosphäre. Der Devotionalien-Laden verkauft alles außer Postkarten, aber ein Foto konnte ich im Netz dann doch noch finden.



Von der Russisch-orthodoxen Kirche geht es einmal quer durch Karakol’s Zentrum zum Basar. Wir laufen an diesem Tag einige Kilometer, aber irgendwie haben wir noch nicht das Karakol gefunden, das unser Herz berührt und in den Reiseführern so gelobt wird. Die Häuser und Bauten sind hässlich, oft seit Sowjetzeiten nicht mehr renoviert und verwahrlost …



Jeder Meter Bürgersteig – sofern überhaupt vorhanden – schaut anders aus: selten gepflastert und gepflegt, meist staubig, mit Löchern, Rinnen und Stolpersteinen. Wir vermuten, die Anlage und Pflege des Bürgersteigs obliegt dem jeweiligen Anlieger: oben Bank, unten Museum 🙂


Der Große Basar ist im Vergleich zum Osh-Basar in Bishkek natürlich eher klein. Zudem sind viele Läden in wenig ansprechend in Containern verstaut.



So werfen wir nur einen kurzen Blick in die Töpfe, Säcke und Schachteln, kaufen ein paar Gewürze und marschieren weiter …




… zur zweiten Sehenswürdigkeit von Karakol, der Dunganischen Moschee. 1910 fertig gestellt wurde auch dieses pagodenähnliche Bauwerk ausschließlich aus Holz errichtet – und man beachte! – ohne Verwendung eines einzigen Nagels.

Wir finden das Ensemble der muslimisch-chinesischen Glaubensgemeinschaft trotz der Holzbauweise ziemlich kitschig und die ausschließlich männlichen Besucher recht abweisend in Auftreten und Gebahren. Die Herren der Schöpfung schlappen in Alltagskleidung daher, spucken vor die Tür und verlangen gleichzeitig vom weiblichen Geschlecht, vorm Betreten der Moschee diese Teletubby-Kutten überzuwerfen. Ne, das geht ja mal gar nicht!

Enttäuscht ziehen wir von dannen und auch der Besuch eines der Restaurants kann unseren Eindruck von Karakol nicht wirklich aufmöbeln. Im lieblosen, unfreundlichen Schnellimbiss-Ambiente bleibt der Genuss von Ashlan Fuu und Laghman ein bisschen auf der Strecke. Zum Glück geht es am nächsten Tag wieder hinaus in die Natur!
