Nachdem uns Karakol-Stadt nicht so wirklich begeistern kann, entscheiden wir nach unserer Rückkehr aus Altyn Arachan super spontan, gleich weiter zu reisen ans nördliche Ufer des Issyk Kul. Schnell packen wir in der Rezeption unsere Backpacks um und sind auch schon wieder „on the road“. Mit dem Taxi geht es – zackzack – zum Fernbus-Bahnhof von Karakol. Hier gibt es tatsächlich einen Schalter und Anfahrpositionen für die Busse. Zaghaft erstehen wir zwei Fahrscheine für je 180 SOM zuzüglich 50 SOM für unser Großgepäck.
Beim Warten fällt uns auf, dass unsere Mägen vor Hunger knurren. Also kurzum noch ein Naan-Brot gekauft und dann teilt uns ein Mitarbeiter auch schon einen Minibus zu. Oha, wir müssen in der Schrottkarre bis zur Rückbank kriechen und auf der Hinterachse sitzen. Es dauert noch eine kleine Weile, bis das Vehikel bis zum Anschlag vollgeladen ist. Um 14.15 Uhr geht’s los – in den nächsten zwei Stunden erhalten wir eine kostenlose Rüttelmassage für die Wirbelsäule.





Unsere Erwartungen, dass Ortsplanung, Haus- und Straßenbau der touristisch erschlossenen Urlaubsregion am Nordufer des Sees ein höheres Level erreicht haben, werden herb enttäuscht. Auch hier endet die schlaglochgeplagte Teerstraße linker- und rechterhand abrupt und entlässt einen schonungslos in unbefestigte Feld-, Wald- und Wiesenwege. Die Häuschen am Straßenrand sind genauso unscheinbar wie im restlichen Kirgistan, verschwinden aber fast hinter der gut positionierten Ware und den Reklameschildern. Das einzige moderne und imposante Gebäude ist das riesige Portal der alle zwei Jahre in Tscholpon Ata stattfindenden World Nomad Games. Und eventuell wäre noch die neue große Landebahn zwischen Tscholpon Ata und Tamtschy zu erwähnen.
Über weite Strecken wird die Straße gerade neu aufgeteert, aber einen Plan für die Arbeiten können wir nicht so recht erkennen. Oder wie erklärt sich das 1-Meter-Gefälle zwischen der immer höher werdenden Straße und den anliegenden Häusern?



Doch wo geht es denn nun eigentlich hin? Ein Besuch der Touristen-Hochburg Tscholpon Ata am Nordurfer erscheint uns nicht erstrebenswert, deshalb wählen wir den kleinen, gemütlichen Badeort Tamtschy aus, um vor unserer Rückkehr nach Bishkek noch einmal das Wasser des Issyk Kuls zu genießen. Aus gegebenem Anlass möchte ich an dieser Stelle unseren Reiseführer zitieren: Tamtschy hat die beste Strandlage von allen Siedlungen am Issyk Kul. Trotzdem ist es noch ein relativ ruhiger und liebenswürdiger Urlaubsort, der sandige Strand ist von Bäumen gesäumt und es herrscht längst nicht so viel Trubel wie in den weiter östlich gelegenen Bettenburgen.
Das schafft Bilder im Kopf, aber sicher andere als diese hier:




Es fängt schon damit an, dass wir sofort nach Verlassen der Marschrutka sehr aufdringlich von Taxifahrern und Guesthouse-Inhabern angegangen werden. Wir versuchen uns zum CBT-Office zu retten, welches aber geschlossen hat. Die Schwester der nicht englisch sprechenden Koordinatorin gibt uns zu verstehen, dass wir am besten in ihrem Guesthouse aufgehoben sind. Ihres sowie alle anderen CBT-Gästehäuser liegen aber an der Straße und somit ein gutes Stück vom Strand (okay, da wussten wir noch nicht, dass der Strand nichts taugt). Also machen wir uns auf die Suche nach einer anderen Unterkunft.




Die Straßen sind unbefestigt und staubig, die Geschäfte und Lokalitäten so schäbig und ungemütlich – und hier soll seit Jahrzehnten das Urlaubsparadies der Russen und östlichen Anrainerstaaten sein?!? Aber es geht noch schlimmer: Der Strand von Tamtschy setzt noch einen drauf. Okay, er hat alles, was Strände am Mittelmeer auch zu bieten haben: Hüpfburgen, Rutschen, Touristenboote, Strandbuden, Bananen-ziehende Speed-Boote … aber alles ist in einem dermaßen maroden, heruntergekommenen Zustand, dass es einen graust. Zusammen mit der lärmenden menschlichen Invasion, die völlig desinteressiert anstatt Spuren im Sand großflächig ihren Müll und Unrat hinterlässt, versetzt uns der Anblick in einen akuten Schockzustand.
Wir kommen uns vor wie am Ballermann von Kirgistan! Der Ort, der Strand, das Wasser des Sees, die Gästehäuser, die Lokalitäten – liebenswürdig? – wir finden absolut Nichts, was einladend wäre. Lea und ich haben schon abgehakt, an diesem Ort in Badeurlaubsstimmung zu kommen. Die Entscheidung ist längst getroffen – schnellstmöglich weg von hier! Eigentlich gilt es nur, die Zeit bis zur Weiterfahrt totzuschlagen und das Gesehene zu verarbeiten.
Ein suspektes Zimmerangebot einer russischen Mafia lehnen wir dankend ab und finden uns nach langer Suche in zweiter Reihe in einem kleinen Familien-Guesthouse wieder, die eigentlich nur auf russisch-sprechende Gäste eingerichtet sind. Aber die vier jungerwachsenen Kinder sind ganz angetan und empfangen uns herzlichst. Das Haus ist sehr einfach, das Zimmer und die Betten auch, aber für eine Nacht wird’s wohl halten. Das Plumpsklo ist wie gewohnt im Garten, die Dusche noch weiter hinten neben dem Hühnerstall.





In einem Hof-Restaurant, gleich neben der Russen-Mafia-Burg, nehmen wir das Abendessen (Reis mit Gemüse) ein. Die Atmosphäre ist bescheiden, aber wir hätten die Chance, unsere verspannte Stimmung von einem Open-Air-Masseur vor aller Augen wegmassieren zu lassen. Puh, gruselig, jetzt aber schnell ins Bett und etwas Schönes träumen!
Wer nun also fragt: Wie war es in Kirgistan? … Es ist beim besten Willen nicht in einem Satz zu beantworten. Von wunderschön bis schrecklich ist alles dabei, zweiteres immer dann, wenn der Mensch seine Finger im Spiel hat. Bleibt nur zu hoffen, dass im Zuge des vermehrten Tourismus nicht ganz Kirgistan dermaßen verschandelt und zugemüllt wird, sondern ökologisch vertretbare Angebote die Schönheit der Natur bewahren.
Ein liebenswertes Foto habe ich in Tamtschy erwischt 😉 Balsam für die Augen:
