Auch an diesem Mittwoch, den 29.01.2020, läuft alles wie am Schnürchen. Den Morgen noch im Yuluka Hostal genossen und nun sitze ich also im Autobus nach Santa Marta. Von dort geht es, nach einem kurzen Rundgang über den hässlichen, schmuddeligen Straßenmarkt, um 13.30 Uhr mit dem Minibus nach Minca. Der schrottige Kleinbus wird vollgequetscht bis zum letzten Platz. Die Sitze mit gefühlten 30 cm Rückenbreite sind nicht wirklich ausgelegt für kolumbianische Botero-Staturen und so sitzen wir – eingepferscht auf der hinteren Bank – jeder nur auf einer Backe, anstatt auf zweien. Zumindest hat die Fülle den Vorteil, dass wir wohl unterwegs nicht mehr anhalten, um nachzuladen.
Die Fahrt ins 20 km entfernte Minca in der Sierra Nevada de Santa Marta dauert etwa eine Dreiviertelstunde. Minca liegt auf 600 m Höhe und ist ein eher weniger attraktives Pueblo, das sich auf den Öko- und Natur-Tourismus von Backpackern eingerichtet hat.



Alles ist ländlich bescheiden, einen Geldautomaten gibt es hier noch nicht. Dafür ein paar kleine Restaurants und Cafés – manche einfach, manche stylisch – und zerstreut in den umliegenden Bergen viele Hostels und Pensionen. Übernachtet man also nicht im Örtchen selbst, kommt man nicht umhin, die holprigen Schotter- und Feldwege auf die Berge zurückzulegen und zwar mit einem Moto-Taxi. Oh, oh, diese Moto-Fahrer sind allesamt junge Burschen, kaum trocken hinter den Ohren und schon auf fetten Geländemaschinen unterwegs – natürlich ohne Helm, dafür mit Flip-Flops. In großer Anzahl und mit viel Getöse düsen sie die schmale Dorfstraße rauf und runter immer auf der Ausschau nach zahlungswilliger Kundschaft.

Da muss ich mir doch reiflich überlegen, ob ich mich und mein Backpack so einem Rowdy anvertrauen möchte und steuere erst einmal die in Blogs und Reiseberichten hochgelobte Panadería francesa La Miga an. Ihr Pan de Choco soll ganz vorzüglich sein, was ich nach einem Selbstversuch auch vollumfänglich bestätigen kann.


So gestärkt wage ich also den Aufstieg auf eines der wilden Moto-Taxis. Christian schaut zwar jung, aber sehr vertrauenswürdig aus. Und so chauffiert er mich, vollbepackt mit meinem großen Reisegepäck, 25 Min. über Serpentinen und bucklige, staubige Feldwege, durch die Kaffeefarm La Victoria (übrigens inzwischen in der 2. Generation von der deutschen Familie Weber-Wilde geführt) hinauf zu den Casas Viejas, meinem neuen Zuhause für die nächsten drei Tage.




Mit den Casas Viejas habe ich wieder einmal ins Schwarze getroffen. Die kleine Hostel-Anlage ist ein Traum. Und ich bekomme im 8-Bett-Schlafsaal auch noch das Bett direkt am Fenster zur Veranda. Den neuen, tollen Infinity Pool habe ich schon erspäht. Schnell das Badezeug aus dem Rucksack fieseln, damit ich noch den sonnigen Nachmittag mit dieser prächtigen Aussicht nutzen kann.



Die ganze Anlage ist mit Herz und mit viel Liebe zum Detail angelegt. Überall und immer kann man den Blick in die Natur genießen, außer den Dorms gibt es prakisch keine geschlossenen Räume. Selbst die Toiletten sind mit Aussicht! Das Personal ist wahnsinnig nett, immer ein Strahlen im Gesicht, und die Küche natürlich 1A. Am Abend gibt es Pollo asado, Grillhendl, wunderbar zubereitet. Ich sitze hier am Tresen, genieße mein Essen und eines der drei Draft-Beer-Sorten aus der Region und sehe in der Ferne am Meer das Lichtermeer von Santa Marta.









Auch in dieser Anlage sind wieder vermehrt junge Backpacker zugegen, die für sich bleiben und rauchend am Lagerfeuer abhängen. Doch anders als in den bisherigen Hostels, gesellen sich auch ältere Traveller, meist Paare oder Mini-Reisegruppen, dazu. Ein Paar aus Holland lerne ich kennen und eines aus Santa Fe de Mexico in Amerika. Nanette und Jonathan Shapiro reisen schon ihr Leben lang, waren früher auch beruflich lange Zeit im Ausland und haben viele lustige und abenteuerliche Geschichten für einen kurzweiligen Abend im Gepäck (https://jonshapiro.travellerspoint.com/).
Am nächsten Morgen schleiche ich mich um 6 Uhr aus dem Dorm. Ein Gezwitscher und Gezirpe ist das und in der Ferne hört man die Brüllaffen brüllen. Ich habe Kamera und Fernglas im Anschlag, aber es ist gar nicht so leicht, die unsteten, umherflatternden Piepmätze auf einem Foto festzuhalten. Bis ich alle Systeme an der neuen Kamera ausprobiert und eingestellt habe, hat das Ziel-Objekt meist schon wieder den Standort gewechselt. Also konzentriere ich mich aufs Beobachten, Papageien-Pärchen turteln in den Bäumen, ein Tukan zischt vorbei und Vögel in den schrägsten Farben suchen nach Futter im Gebüsch.







Das fängt ja schon mal gut an und das Frühstück ist auch der Hammer. Um 8.45 Uhr bin ich startklar für meine Wanderung – wie immer alleine. Ich möchte über den Aussichtspunkt Los Pinos zur Casa Elemento (bekannt für ihre Riesen-Hängematten) und dann über den Marinka Wasserfall nach Minca. Nur einen kurzen Anstieg weiter fasziniert mich ein alleinstehender Baum mit den großen Webervogel-Nestern. Bisher habe ich nur kleine Webervögel kennengelernt, aber diese lustig ausschauenden Gesellen haben eine stattliche Raben-Größe. Sie sind so witzig anzusehen mit ihren großen Augen und wenn sie fliegen leuchten die aufgefächerten Schwanzfedern knallgelb.




Aber weiter geht’s hinauf zu den Los Pinos, wo ich nach 2 Stunden ankomme. Die Aussicht ist hier nicht spektakulärer als andernorts, aber vielleicht liegt das auch daran, dass es generell etwas diesig ist heute. Eine kleine Pause und ein Foto und schon geht’s weiter.
Wie bei den meisten Wanderungen im Ausland, so spielen sich auch in Kolumbien die Hunde am Wegesrand mächtig auf. Immer wieder knurren mich die kleinen Kläffer überraschend an … da muss ich doch gleich meinen roten Schirm im Anschlag halten. Unabhängig von der Größe, habe ich stets einen Heidenrespekt. Doch dann bemerke ich, dass sich die Hunde recht schnell verziehen, sobald ich mich nach einem Stein bücke … und sei es auch nur vorgetäuscht, weil gar keine Steine zum Aufheben rumliegen 😉
Später stelle ich fest, dass ich eine Abkürzung zum Casa Elemento verpasst habe, denn das holländische Paar ist nach mir gestartet und liegt bei meinem Eintreffen schon in der Hängematte – ohne mich überholt zu haben. Aber wer weiß, wozu es gut ist 😊












Anstatt einer halben Stunde laufe ich also eine Stunde zur Casa Elemento und muss auch wieder ein ganzes Stück nach oben aufsteigen. Die Casa Elemento ist bei jungen Backpackern aus aller Welt richtig beliebt, heißt aber inzwischen Sierra Minca. Als Gastbesucher muss man sozusagen einen Eintritt zahlen und bekommt ein Getränk dazu. Naja, wenn ich die Schönen und Coolen da so mit Cocktail im Pool abhängen sehe, bin ich doch schon sehr froh, für meinen Aufenthalt die Casas Viejas ausgewählt zu haben. Trotzdem probiere ich natürlich mit Hasi zusammen die Hängematte aus und wir chillen eine Weile:



Auf dem Abstiegsweg nach Minca nehme ich noch den Marinka Wasserfall mit und erfrische mich in einem der oberen Becken. Der junge Mann an der Kasse versucht mich kurz mal übers Ohr zu hauen und gibt mir nur 10.000 statt 20.000 COP als Wechselgeld zurück. Man kann es ja mal versuchen, dabei sah er gar nicht so aus, als hätte er es nötig.







Oh, schon 16 Uhr! Jetzt wird es aber Zeit, dass ich mir ein Moto-Taxi organisiere. Ab 17 Uhr kann man nicht mehr durch die Kaffee-Finca La Victoria fahren – die Werkhalle, die man mit dem Motorrad passieren muss, ist dann geschlossen.
Am Abend gibt es Veggie-Burger und bei Gesprächen hier und da höre ich, dass ein junges Pärchen Tukane oben bei den Webervögeln gesehen hat. Und – was besonders interessant ist – dass Tukane „quaken“. Ja, Quaken wie Frösche! Zum ersten Mal in Kolumbien fängt in der Nacht mein Magen an zu rumoren und es wird ein eher unruhiger Schlaf.
Am kommenden Tag möchte ich nach Minca runter, um zu sehen, welche Wanderoptionen es noch gibt. Und mit dem Plan, dass das Absteigen nach Minca wohl weniger anstrengend als ein späterer Aufstieg ist, tappe ich zu Fuß los. Ich passiere La Victoria und folge durch mächtige Bambuswälder immer weiter den Serpentinen und geschlängelten Wege nach unten. Mein roter Schirm erhält hier eine ganz neue Funktion, denn die Straße ist so staubig trocken, dass mich jedes Auto oder Moto, jeder Laster vollkommen einhüllt. Die ersten Moto-Taxi, die mich mitnehmen wollen, weise ich noch ab … aber es zieeeeht sich. Der nächste Moto-Taxista bietet mir die Fahrt nach Minca für 5.000 COP an (die Fahrt Casas Viejas nach Minca kostet standardmäßig 20.000 COP, also rund 5 €). Dieses Angebot nehme ich doch nur allzu gerne an.


Nach kurzem Studium der Infotafel und gutem Zureden der Taxistas von allen Seiten, entscheide ich mich für eine Tour zur Cacao-Finca Candelaria. Von dort kann ich dann im Anschluss in einem großen Bogen zum Pozo Azul wandern. Wieder ein tagesfüllendes Programm.


Die kleine Kakaofarm Candelaria liegt natürlich einige Kilometer entfernt am gegenüberliegenden Berghang. Also steige ich gleich wieder aufs Moto-Taxi und lasse mich von Sebastian hinauf chauffieren.


Die Kakao- und Kaffee-Finca der Familie Hidalgo ist traumhaft gelegen mit weitem Blick nach Santa Marta. Der Öko-Familienbetrieb in 3. Generation pflanzt außer Kakao auch Kaffee, Avodaco und Bananen an und hält Bienen. Noch bin ich alleine, als dann aber eine junge Australierin dazustößt, geht die Fast-Privat-Führung auch schon los. Für Señor Hildalgo ist das, was er macht, wirklich eine Herzensangelegenheit. Mit Feuereifer ist er dabei und hält eine tolle Präsentation, bei der wir Vieles über Kakao lernen. Unter anderem, dass unserer Schokolade die wertvolle Kakaobutter entzogen und diese durch billiges Palmöl ersetzt wird! Die gesunde Kakaobutter wird dann separat für teures Geld verkauft.





1-Kakao-Pflanze / 2-Blüte direkt am Stamm / 3-Kakao-Frucht / 4-Kakao-Samen / 5-Röstung nach 10 Tagen Fermentation / 6-Trennung von Schale und Kern / 7-Brechen ergibt Kakao-Nibs, Mahlen reichhaltige Kakao-Paste / 8-Reine Kakao-Paste ist sehr gesund, äußerlich und innerlich 🙂
Zum Schluss gibt es noch eine Kakao-Gesichtsmaske und eine Schoki mit Milch. Auch wenn ich das Souvenir noch lange Zeit mit mir herumtragen muss, um den Kauf von zwei Packerl Kakao-Nuggets komme ich nicht rum.
Direkt vor der Kakao-Farm finde ich bereits einen Wegweiser zum Wasserfall Pozo Azul. Ohne große Erwartungen schlage ich besagte Richtung ein und bin von diesem herrlichen Wanderweg begeistert. Der schmale Pfad schlängelt sich so dahin und es gibt jede Menge zu entdecken:









Und nachdem ich nun weiß, dass Tukane quaken, spüre ich doch tatsächlich selber einen in einem riesigen Baum auf. Auch einen wunderschönen Kolibri spotte ich und viele Papageien, die sich im Gegenlicht auf den Bäumen sammeln.





Das Touristenziel Pozo Azul, das vor allem bei Kolumbianern selbst total beliebt ist, finde ich jetzt weniger attraktiv. Ein kurzer Blick: zu touristisch und vielleicht auch mangels Lichteinfall unspektakulär.

Zurück an der „Hauptstraße“ reicht eine WhatsApp an Sebastian. Er holt mich mit dem Moto-Taxi ab und fährt mich den Berghang runter und den anderen Berghang wieder hoch bis zu den Casas Viejas.
Meine Holländer und Amerikaner sind inzwischen abgereist und stattdessen ist eine etwas nervig laute, französische Reisegruppe mit einer dauerrauchenden Solo-Reisenden eingezogen. Zum Glück gilt hier in Kolumbien in den meisten Bereichen Rauchverbot und ich kann die Dame immer wieder lässig auf das Nichtraucherzeichen hinweisen, das sie nur allzu gern geflissentlich übersehen möchte. Dabei hustet sich die Solo-Französin des nachts im Schlafsaal die Seele aus dem Leib.
Ach ja, meine Sonnenbrille – gerade nochmal aus Tayrona gerettet – ist nun endgültig verschwunden. Sie muss mir aus der Rucksackseitentasche rausgefallen sein. Ich sag’s ja – running gag!


Vorm Frühstück am nächsten Tag statte ich den Webervögeln noch einmal einen Besuch ab. Und siehe da, auch ich sehe das Tukan-Pärchen im diffusen Morgenlicht. Noch einmal lecker frühstücken, dann holt mich Sebastian mit dem Moto ab nach Minca. Dort steige ich ins nächste Collectivo und bin dieses Mal so schlau, gleich mal frech nach dem Platz vorne neben dem Fahrer zu fragen.


Top-organisiert und vorbereitet wie ich bin, weiß ich auch, dass ich dieses Mal nicht mehr ins Zentrum zum Mercado fahren muss, sondern direkt am Mamatoco-Kreisel am Stadtrand aussteigen kann, um mir dort im Berlinastur-Office ein Ticket für den nächsten Langstreckenbus nach Cartagena zu kaufen. Die zwei Jungs aus Amerika und Holland sind da weniger informiert und stapfen mir über 5 der mehrspurigen Kreisel-Zufahrten hinterher. Gordon (USA) und Chris (Holland), unterschiedlich wie Dick und Doof, haben sich vor Jahren zufällig auf einer Reise kennengelernt und reisen seitdem einmal im Jahr zusammen. Spanisch sprechen sie kein Wort und sind deshalb froh für meine Hilfe am Ticketschalter.
In einem großen komfortablen Bus geht es nach Barranquilla und von dort in einem mit vielen kolumbianischen Smartphone-Dauer-Telefonierern brechend vollen weiter nach Cartagena.









