CARTAGENA OHNE STURM EROBERN

Am 01.02.2020 bin ich also nach einer wunderbaren, naturnahen Woche wieder zurück im quirligen Cartagena. Meine Schlafbox im Santuario Hostel habe ich schon bezogen. Es ist Samstagabend und deshalb die beste Zeit, sich in das bunte, laute und wuselige Nachtleben von Getsemaní zu stürzen. Morgen habe ich den Sonntag noch zum Ausruhen, bevor ich am Montag im Spanisch-Kurs der Escuela Nueva Lengua die Schulbank drücke. Nach der langen Reise von Minca über Santa Marta und Barranquilla nach Cartagena habe ich Lust auf Bewegung – und hungern tut es mich auch!

Aber Halt! Ich habe ja noch gar keine Tagesimpressionen aus dem farbenfrohen Künstlerviertel Getsemaní gezeigt. Dann wird es aber Zeit. Kommt mit durch die Gassen und Sträßchen, die Callejones Ancho y Angosta und …

… weiter zur Plaza de la Trinidad, dem gesellschaftlichen Mittelpunkt Getsemanís.

Als ich am Samstag um 18 Uhr losziehe, ist es schon wieder dunkel. Extrem viele junge Menschen, Einheimische und Touristen, schlendern durch die engen, heimelig beleuchteten Gassen des Künstler- und Ausgehviertels Getsemaní. Alles spielt sich auf der Straße ab. Die Bewohner des Viertels sitzen auf Plastikstühlen vor ihren offenen Haustüren, palavern emotionsgeladen, haben sichtlich Spaß beim gemeinsamen Brettspiel, hören lautstark Musik oder tanzen.

Wirft man einen Blick durch die eine oder andere Haustüre, ist man erst einmal geplättet. Der Wohnraum ist alles andere als bunt und einladend. Meist ist er dunkel und völlig zugestellt mit geschmacklos zusammen gewürfeltem Mobiliar. In erster Linie Sitzgelegenheiten – vom Klappstuhl bis zum ausladenden Sessel – und alle weisen in eine Richtung: in die des großflächigen Fernsehers.

Die Plaza de la Trinidad ist das Herz des Getsemaní-Viertels. Neben stylischen Bars und Restaurants umlagern auch einige mobile Imbissstände den Platz. Neugierig schaue ich den Menschentrauben vor den Essständen über die Schultern: Wo so viele anstehen, muss es doch etwas besonders Leckeres geben?! Doch leider macht mich das Gesehene meist nicht an: Die Teller, die aus dem Zentrum der Menschenmenge auftauchen, quellen über vor Fleisch, Fleisch und viel, viel Käse. Das schaut weder gesund, noch appetitlich aus, aber die Kolumbianer strahlen bis zu den Ohren, wenn sie sich über ihr opulentes Street-Food hermachen. Immer wieder starte ich neue Versuche für die Nahrungsaufnahme, schaue in Töpfe oder Fritteusen und studiere Speisekarten … Inzwischen hängt mir der Magen in der Kniekehle. Eine Arepa auf die Hand macht nun auch nicht wirklich satt und schlussendlich sitze ich erschöpft und völlig unterzuckert auf einer Dachterrasse vor einem Teller italienischer Nudeln mit mittelmäßig geschmackvoller Soße.

Ich schlafe wie ein Stein und bin zum Morgengrauen schon putzmunter. Warum also nicht meinen Elan zielgerichtet kanalisieren und spontan am Sonntagmorgen die noch leeren Straßen Cartagenas durchstreifen? Geräuschlose Katzenwäsche, Kamera und Handy geschnappt und schon bin ich gegen 7 Uhr auf dem Weg zum Torre del Reloj, der Eingangspforte zur inneren Altstadt. Es ist herrlich diese Morgenstimmung aufzunehmen. Die Gassen sind, abgesehen von den Straßenreinigern, Spätheimkehrern oder einzelnen Tandlern und Palenqueras, die sich schon die besten Verkaufsplätze sichern, leer.

Ohne Taxis, Pferdekutschen und die vielen Menschen kann man die Schönheit Cartagenas viel intensiver aufnehmen: bunte Häuserfassaden, verwaiste Plätze, verspielte Balkone, geheimnisvolle Türen … Bei meiner Free-Walking-Tour am ersten Tag in Cartagena hatte uns die Führerin schon auf die wunderschönen, schweren Türklopfer aufmerksam gemacht. Im Mittelalter konnte man an der Art des Türklopfers erkennen, welchem Beruf der Hausherr nachging und an der Anzahl der Beschläge, wie wohlhabend er war – je mehr Beschläge, umso reicher. Der Löwe symbolisiert Kraft und Stärke, dort wohnte eine hohes Tier vom Militär, Meeresgetier wie Kraken, Seepferdchen, Fische deuteten auf das Domizil eines Seefahrers oder seefahrenden Händlers hin und der Leguan stand für Verwandte oder Nachkommen des Königs von Spanien.

Nach gut 2 Stunden habe ich mich satt gesehen und kehre zurück ins Hostel. Su-Hey bereitet auf Bestellung das Frühstück zu: von zwei Optionen wähle ich natürlich Obst mit Müsli und Joghurt. Danach ist erst einmal Wäschewaschen angesagt. Der „Duft“ einer aktiven und schweißtreibenden Woche im Tayrona Park und in Minca strömt mir schon beim Öffnen des Wäschesacks entgegen.

Nach getaner Arbeite mache ich mich noch einmal auf den Weg in die Altstadt. Die Geldreserven sind neu aufgefüllt, deshalb investiere ich in eine „echte“ Ray-Ban-Sonnenbrille für 5 €. Der Verkäufer preist sie in höchsten Tönen an. Ich grinse und freue mich mit ihm. Das eigentliche Ziel meines zweiten Ausfluges ist jedoch die Dachterrasse des 5-Sterne Movich Hotels. Hier soll es einen fantastischen Ausblick auf Cartagenas Altstadt und Bocagrande, die Neustadt, geben. Google Maps führt mich in eine versteckte Seitenstraße nahe der Plaza de la Aduana und in dieser unscheinbaren Gasse stehe ich tatsächlich mit meinen Flip-Flops vor dem edlen Eingang des 5* Movich Hotels. Durchs Glas erkenne ich schon den Portier in seiner Livree. Oha, soll ich da tatsächlich so mir nichts dir nichts reingehen? Einen kurzen Moment beobachte ich die Szene und sehe auch zwei andere Touristen – nicht besser gekleidet als ich es bin – durch die Pforte schreiten. Also, auf geht’s! Erhobenen Hauptes stolziere ich in Flatterhosen und Badelatschen durch die Empfangshalle. Portier und Rezeptionsangestellte begrüßen mich, als sei ich der Papst persönlich, und verweisen mich zwecks Auffahrt zur Dachterrasse freundlichst zum Aufzug.

Der Ausblick über die ganze Altstadt, aber insbesondere über die Iglesia de San Pedro de Claver hinweg zur Neustadt Bocagrande, ist der Hammer!

Ich genieße einen Drink und die herrliche Atmosphäre, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Kaum zwei Sträßchen weiter, treffe ich meine Reisegesellen, das ungleiche Männer-Duett, aus Santa Marta. Wir ratschen kurz und ich erzähle mit strahlenden Augen von meinen frischen Dachterrassen-Impressionen. Für die beiden Foto-Freaks ein wertvoller Tipp. Sie machen sich gleich auf den Weg ins Movich und ich treffe sie dort zwei Abende später noch einmal.

Bezüglich des Essens habe ich heute keine Lust auf Experimente, weshalb ich ein ruhiges Plätzchen bei meinem Italiener „Pizzeria Basilica“ an der Plaza del Pozo ansteuere. Einen Platz ergattere ich, ruhig ist es allerdings durch die Dauerbeschallung aus der Nachbarschaftswohnung bei weitem nicht.

Am Montag, den 02.02.2020, startet mein Sprachkurs bei der Escuela Nueva Luenga. Am ersten Tag muss ich wegen der Einschreibung und dem Einstufungstest pünktlich um 8 Uhr da sein. Drum macht mich die gemächliche Frühstückszubereitung schon leicht nervös. Ich gehe Su-Hey zur Hand, aber viel schneller werden wir dadurch auch nicht. Der uralte Wasserkocher braucht eine Ewigkeit, dass das ON-Licht nicht funktioniert, macht die Sache nicht einfacher.

Zum Glück habe ich es nicht weit zur Sprachschule. Nach dem Test und der offiziellen Begrüßung werden wir den Spanisch-Lehrern zugeteilt. Der meinige heißt Daniel und ist 30 Jahre jung. Mit mir um den Tisch sitzen Octavio (19, Brasilien), Luis (24, Berlin), Corine (Französin aus San Francisco), Margaretha (Österreich) und Brittany (20, San Francisco). Die meisten sind schon um einiges weiter insbesondere mit dem gesprochenen Spanisch, haben bereits einige Wochen Unterricht hinter sich oder scheren sich nicht um Grammatik-Details – wie Margaretha 😉

Ich muss alle Gehirnzellen anstrengen, um einigermaßen mithalten zu können. Brittany ergeht es noch schlechter, sie wechselt am 3. Tag in eine andere Gruppe. Daniel ist herzallerliebst und sehr sympathisch. Was aber nicht darüber hinweg trösten kann, dass wir die ganze Woche alle Zeiten des mir noch völlig unbekannten Subjuntivo lernen. Die Praxis-Stunden mit Cynthia sind zwar lustiger und entspannter, aber trotz allem eine Herausforderung. Jeden Tag von 9 bis 13 Uhr halte ich die Stange, habe aber keine Ambitionen, am Nachmittag noch an den Ausflügen oder abends an den privaten Treffen teilzunehmen. Das ist mir zu anstrengend und zu nervig. Insbesondere die Gesellschaft von Margaretha ist eine Prüfung. Kurz zusammen gefasst kann ich sagen, dass mir die Woche Unterricht nicht wirklich etwas gebracht hat – außer dass sie mir gezeigt hat, wie wenig ich erst weiß. Alles andere als: Chévere!

Natürlich durchstreife ich in Cartagena auch schon die ersten Souvenir-Läden und die „Shopping-Arkaden“ … ein leichtes Strandkleid oder eine der schönen Perlenketten würden doch locker in mein Backpack passen. Aber das ewige à-la-orden (zu Ihren Diensten) und die detektivische Verfolgung bis in den letzten Winkel des Ladens gehen mir gehörig auf den Zeiger. Deshalb bleibt es nur bei meiner geliebten Ray-Ban Sonnenbrille vom Straßenhändler.

Diesen IT-Fachhändler aus einer Shopping-Mall wollte ich Euch nicht vorenthalten 🙂
Nicht viel einladender als die in die Jahre gekommenen Shopping-Arkaden ist der Parque Centenario. Dieser kleine, mit Mauer und Gittern eingezäunte, künstlich angelegte Stadtpark liegt mitten zwischen den Hauptverkehrsstraßen der äußeren Altstadt. Es gibt ein paar große, alte Bäume, am Boden aber kaum mehr Grünes. Unglaublich, dass in diesem öden Umfeld so viele wilde Tiere hausen: Leguane und Faultiere, Papageien und sogar einige Äffchen. Ich weiß nicht so recht, ob ich mich darüber freuen soll, oder ob ich dieses Dasein eher traurig finde.

Am vorletzten Tag mache ich mich bei brütender Hitze dann sogar noch auf, um das mächtige Castello San Felipe auf der anderen Lagunenseite zu besichtigen. Der Weg über Brücken und den heißen Asphalt entlang der vielbefahrenen Straße ist nicht so prickelnd. Aber das kalte, steinerne Abwehr-Gemäuer übertrifft dann doch meine geringen Erwartungen. Ich schlendere eine Weile über die großzügige Anlage mit bester Aussicht auf das alte und das neue Cartagena – dieses Mal von der Landseite aus. Hier und da steige ich hinab und erkunde die kühlen Flucht- und Versorgungsgänge. Neugierig auf die Geschichte der Anlage schaue ich mir dann auch noch mit großer Begeisterung einen wirklich fantastisch aufbereiteten und super interessanten Film dazu an.

Am Samstag, den 08.02.2020, verabschiede ich mich vom Santuario Hostel und mache mich morgens früh auf zum Muelle de los Pegasos. Für den letzten Tag in Cartagena gönne ich mir für 70 € einen Tagesausflug mit dem Bona Vida Catamaran. Ich bin eine der ersten auf dem Catamaran und belege eine herrlich breite Liege. Immer mit der Nase im Fahrtwind schippern wir von 8.30 bis 16 Uhr durch das Karibische Meer, machen zwei Schnorchel-Stopps und werden mit einer köstlichen Paella verwöhnt. Alles in allem kein aufsehenerregendes Erlebnis, aber genau richtig zum Abschalten und Abschiednehmen. Bei der Rückfahrt nimmt der Steuermann nochmal ordentlich Fahrt auf, die Wellen schwappen in hohem Bogen aufs Vorderdeck. Sehr zur Gaudi aller Fahrgäste. Klar ist aber auch, dass da mein Backpack unter der Bank nicht trocken bleibt.

Eigentlich hatte ich Jorge, meinen Taxista vom Morgen, für 16 Uhr ans Pier bestellt, denn ich muss zügig weiter zum Busbahnhof am Stadtrand, wo bereits um 17.30 Uhr mein Nachtbus nach Medellín abfährt. Als ich nun von Deck steige, sehe ich vor mir ein endloses Verkehrschaos. Taxis über Taxis, Motos und Privatautos schlängeln sich auf allen vier Spuren der beiden Richtungen. Es hat den Anschein, dass alles nur im Schritttempo vorwärts geht. Gleich könnte ich schon in eines der Taxis springen, doch ich habe ja Jorge hierher bestellt. Ich schreibe ihm eine Whatsapp und bekomme auch Antwort. Er ist noch nicht in unmittelbarer Nähe, aber auf dem Weg. Was wird das heißen? Ich warte sehr ungeduldig und halte Ausschau – nach einem Taxi unter Hunderten. 15 Minuten vergehen, es ist stickig und brütend heiß. Jorge steht wohl inzwischen irgendwo am Ende dieses Staus, aber meine Geduld ist am Ende. Verärgert schicke ich Jorge eine Nachricht und steige kurzerhand in ein Mini-Taxi mit einem dicken Schwarzen oder einem schwarzen Dicken. Er ist super freundlich, auch wenn ich seinen Spanisch-Dialekt nahezu nicht verstehe und er mein radebrechendes Spanisch vermutlich ebenso wenig, unterhalten wir uns auf der Fahrt recht nett über Cartagena, meinen Besuch und die Familien. Die Fahrt zum Busbahnhof dauert geschlagene 40 Minuten und ich bin leicht nervös. Aber mein Taxista mogelt sich geschickt mit seinem kleinen, verbeulten Flitzer durch jede Lücke, überholt links, überholt rechts und so kommen wir tatsächlich noch pünktlich an. Ich bezahle die Fahrt und lege noch ein Trinkgeld drauf. Dann schaut er die Scheine an und gibt mir zu verstehen, dass er das nicht annehmen könne. Anstatt eines 10.000er Scheins hatte ich ihm einen 50.000er in die Hand gedrückt! Ist das nicht der Hammer! Ich hätte das nie und nimmer gemerkt. Diese tolle Erfahrung bleibt nicht die einzige mit den Taxistas in Kolumbien. Die meisten Taxistas fahren streng nach Taxameter und nehmen kein zusätzliches Trinkgeld an, es gibt nur sehr, sehr wenige schwarze Schafe.

Jetzt aber den Backpack aufi geschnallt und ab ins Busterminal für meine Nachtbusfahrt:
Medellín ich komme!

2 Gedanken zu “CARTAGENA OHNE STURM EROBERN

  1. Werner K schreibt:
    Avatar von Werner K

    Solche tollen Eindrücke und Bilder…! Danke Andrea, dass du uns daran teilhaben lässt! (Es soll(te) wohl so sein, dass du das alles „mit Verzögerung“ nun mitten im „Lockdown“ veröffentlichst — zur Motivation und Vorfreude für rosigere (Reise-)Zeiten.)

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