EWIGER FRÜHLING IN MEDELLÍN

Am Samstagabend starte ich also gegen 18 Uhr mit einer halben Stunde Verspätung mit dem Nachtbus nach Medellín, in die Stadt des ewigen Frühlings. Die meisten Traveller legen die riesigen Strecken zwischen Kolumbiens Städten mit einem Inlandsflieger zurück. Das ist in Kolumbien auch bei den Einheimischen sehr beliebt und relativ preisgünstig. Billiger und ökologisch vertretbarer ist natürlich der Bus, der allerdings für die 640 km nach Medellín zwischen 12 und 17 Stunden benötigt. Man muss also Zeit und Sitzfleisch mitbringen – und wie ich gelernt habe, am besten auch die Polarausrüstung 😊

Ich habe mir einen Platz direkt am Einstieg ergattert und der Sitz nebenan bleibt erst einmal frei. Zum Glück, denn die Sitze sind nicht vergleichbar mit den Schlafsesseln anderer Nachtbusfahrten und auch die Ablagemöglichkeiten sind sehr beschränkt. Dafür gibt es aber USB-Buchsen fürs Smartphone … ganz oben, in der Deckenverkleidung. Blöd, dass meine Ladekabel dafür einfach zu kurz sind und ich wahlweise meinen Arm nach oben halten muss oder mir das Handy immer wieder runterfällt. Meine kolumbianischen Mitreisenden schmunzeln sich ob meiner Bemühungen einen ab und ich habe wieder etwas gelernt: Für kolumbianische Reisebusse benötigt man ein laaaaanges Ladekabel.

Was ich ebenso schnell merke: Der Bus ist klimatisiert und zwar so klimatisiert, als reise man tagsüber im hochtropischen Südostasien. Ich bin ja Frischluftfanatiker, aber hier ist es wirklich arschkalt! Leider kann ich meinem Busfahrer diese Problematik nicht vermitteln, da er seiner führenden Tätigkeit in einem hochsicherheitsmäßig abgeschotteten Fahrerhaus nachgeht – vermutlich in wohliger Wärme, denn er trägt bei der Arbeit lediglich ein dünnes, weißes Hemd. Ich habe, Gott sei Dank, noch eine Jacke und ein Tuch im Handgepäck, um zumindest nicht dem Erfrierungstod zu erliegen. Kuscheliges Schlafen ist bei diesen Temperaturen natürlich eher schwierig.

Aber irgendwie bekomme ich doch die ersten 5 Stunden bis Silencejo um. Dann gesellt sich nämlich Kerry zu mir auf den Nebensitz. Kerry lebt mit ihrem Mann und 4 Kindern im Alter zwischen 9 und 19 Jahren in Medellín. Sie ist sehr gesprächig und so begeistert, eine Ausländerin, zudem noch blond, neben sich sitzen zu haben, dass sie gleich ein Foto von uns machen möchte und wir spontan eine Facebook-Freundschaft eingehen. Kerry ist übrigens noch leichter bekleidet als ich, also völlig unvorbereitet für diese Polarexpedition. Eine Intervention beim mürrischen Busfahrer ihrerseits trägt leider auch nicht zu einer Klimaerwärmung im Reisebus bei. Wir frieren weiter wie die Schneider. Hier muss ich noch bemerken, dass es mich immer wieder erstaunt, wie ruhig und brav die Babys und Kinder solch lange Reisen mitmachen. Das habe ich auch in Peru schon so erlebt.

Um 7 Uhr machen wir Halt an einer Raststätte. Boah, hier gibt es endlich einen heißen doppelten Kaffee zum Auftauen! Die Kolumbianer hingegen nehmen nur einen Tinto (kleiner Kaffee) und dafür lieber Frittiertes und Gegrilltes vom Take-away zum Frühstück. Allein der Geruch nach altem Fett löst bei mir unschöne Reaktionen aus.

Wir sind nun seit 13 Stunden unterwegs und laut Fahrplan könnten wir, rein theoretisch betrachtet, jetzt schon in Medellín einfahren. Aber Theorie, Wunsch und Wirklichkeit liegen in Kolumbien weit auseinander, weshalb wir uns für weitere 3 Stunden zurück in unsere Polarstation begeben.

Die Landschaft, die an meinem Busfenster vorbeifliegt, wird nun wieder hügelig und bergig. Fast wie daheim, sogar das Fleckvieh steht auf der Weide. Medellín liegt auf 1.495 m und wir sind auf Meereshöhe in Cartagena gestartet.

Gegen 10 Uhr fahren wir dann endlich in die riesige Buszentralstation von Medellín, das Terminal del Norte, ein. Gleich daneben befindet sich die Metro-Station El Caribe, die ich aber heute links liegen lasse. Mein Hostel liegt im Barrío Campo Valdes, hinter dem Botanischen Garten rechts ab und immer geradeaus. Die 2,5 km werde ich nach dieser Sitzerei wohl auch zu Fuß schaffen.

Über eine große Fußgängerbrücke überschreite ich die 6-spurige Einfallstraße nach Medellìn, die heute am Sonntag als Ciclo Vía freigegeben ist. Eine geniale und sehr beliebte Einrichtung in Kolumbiens Großstädten Bogotá und Medellín. Von 7 bis 13 Uhr werden JEDEN Sonntag und Feiertag große Hauptverkehrsstraßen für den Autoverkehr gesperrt. Dann gehören die breiten Straßen allen, die sich ohne Motor fortbewegen. Vom enthusiastischen Rennradfahrer über Inliner- und Tretrollerfahrer bis zum Kinderrad oder Kinderwagen ist alles vertreten und die Kolumbianer nutzen die Gunst der autofreien Stunden.

Nach der Autotrasse überquere ich die Metrotrasse und schließlich den ziemlich zugemüllten Rio Medellín. Vorbei geht’s am Parque Explora, einem modernen Ausstellungs- und Erlebnistempel, und dem Botanischen Garten.

Wie ich mich so schleppend mit meinen Rücksäcken vorwärtsbewege und in Google Maps meine Hosteladresse orte, bekomme ich von den freundlichen Medellínern schon gleich gutgemeinte Hilfsangebote. Sehr lieb!

Leider muss ich nach dem Botanischen Garten dann doch feststellen, dass mein Weg nicht so schön plan wie in Google Maps weiterverläuft, sondern dass ich ordentlich den Berg hinaufsteigen muss, was angesichts der nicht wirklich vorhandenen Bürgersteige und dem ständigen Auf und Ab über Stufen und Gräben, Schlaglöcher und Müllhaufen ein mühsames Unterfangen ist.

Aber schlussendlich erreiche ich mein Ziel, das Campo Valdes Park Hostel. Der Hosteleingang ist ohne Beschriftung und ich laufe mehrfach an der runtergekommene Eisentür vorbei. Aber mein Anruf bei der Hosteleigentümerin bestätigt mir, dass ich richtig bin. Sie holt mich unten ab und ich erklimme über den schmalen und steilen Treppenaufstieg die 2. Etage. Die Gemeinschaftsräume sind hell und sauber, wohingegen Zimmer und Bad extrem klein ausfallen. Gut, dass ich nur vorübergehend an Übergewicht und Fülle leide, während ich beim Backpack trage.

Wirklich schön ist eigentlich nur der Balkon mit der Aussicht auf dieses fast schon dörfliche Medellín-Viertel und den gegenüberliegenden Parque Calvarío mit gleichnamiger Kirche. Hier sitze ich oft und beobachte das Treiben auf der Straße: Nebenan der Bäcker, der zu meiner „Frühstücks-Oase“ wird, gegenüber der einfache Gym-Park, wo die Halbstarken trainieren um stark zu werden, rund um die Kirche die Volleyball- und Fußball-Felder, auf dem Kirchplatz die regelmäßige Zumba-Stunde und abends auf den Straßen die jungen Paare ohne Helm, aber mit Minirock und High-Heels auf den Motos … Ich habe das Gefühl, mittendrin und dabei zu sein und es fühlt sich so gar nicht nach gefährlicher Drogen-Mafia-Großstadt an.

1,5 Stunden nach meiner Ankunft am Busbahnhof bin ich auf dem Weg zur Bäcker nebenan.  Die kleine Panadería am Eck taugt mir gleich: Der Kaffee ist heiß, dazu gibt es ein süßes Gebäck und nebenbei beobachte ich das Kommen und gehen der Nachbarn, der Arbeiter und Schulkinder …

So gestärkt mache ich mich zu Fuß auf den Weg in Richtung Medellín-Zentrum. Es schaut schon toll aus, wie sich die Stadt ringsherum die Berghänge raufzieht. Ein unglaublich riesiges Areal.

 

Die Straßen sind am Sonntag ziemlich ruhig und im Parque de Bolívar flanieren Familien und Senioren und genießen die Sonne.

Apropos „Parque …“ – Die Örtlichkeitsbezeichnung „Parque“ in Kolumbien und ganz speziell hier in Medellín ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit einem „Park“ im klassischen Sinne. Zwar stehen auch in diesen „Parques“ vereinzelt ein paar alte Bäume rum, aber ansonsten ist alles zugepflastert und zugemauert. Zwei weitere schöne Beispiele in Medellín sind der Parque Berrío …

oder auch der Parque de las Luces:

Schlussendlich erreiche ich die Plaza Botero mit 23 großen Bronze-Skulpturen des hochgeschätzten Künstlers Fernando Botero. Er ist Sohn (geb. 1932) und Mäzen der Stadt Medellín. Ich selbst werde mit Boteros Kunst nicht so wirklich warm.

Begrenzt wird der Plaza Botero auf der einen Seite vom markanten, etwas klotzigen Palacio de la Cultura und auf der gegenüberliegenden Seite vom Museo de Antioquia.

Um 16 Uhr besteige ich zum ersten Mal die Anlagen der Metro, die auf Betonpfeilern über weite Teile des Stadtzentrums verläuft. Das System ist genial. Ich kaufe mir eine Kundenkarte mit einem Guthaben. Der Fahrbetrag wird beim Durchlaufen der Schranke automatisch abgebucht und man kann im Anschluss so oft und viel Metro und Metro Cable fahren, wie man will, solange man nicht irgendwo wieder über eine Schranke das System verlässt.

Das gefällt mir und so fahre ich gleich mal raus in Richtung Poblado. Poblado wäre die zweite Alternative zum Übernachten gewesen. Hier haben sich viele Hostels, Restaurants und Bars niedergelassen. Es ist bei Backpackern äußerst beliebt – dadurch aber auch sehr belebt und touristisch. Ich habe noch nicht einmal ein einziges Foto dort geschossen.

Da ist mir mein ursprüngliches und „ruhiges“ Barrío Campo Valdes doch lieber, in das ich nach diesem ersten Ausflug auch wieder heimkehre. Mit der Metro geht es bis zur Estación Universidad und von dort zu Fuß nach Hause. Es wäre jetzt langsam an der Zeit, mal wieder etwas zu essen. Programmiert auf Nahrungsaufnahme streife ich eine Weile durch die mobilen Fressstände an der Universität und bleibe wie immer uninspiriert.

In Medellín sollte man nie mit Blick aufs Handy-Display flanieren. Das kann ganz böse ausgehen.
Keine Ahnung, warum die Bäume hier tiefer gelegt sind?!

Nachdem mich auch die Essensauslagen mit Frittiertem und Fettigem auf dem Heimweg nicht wirklich anmachen, entscheide ich, im Supermarkt nebenan einzukaufen und mir selbst etwas Vegetarisches zu kochen. Zwar stellt sich die vermeintliche Zucchini als Gurke heraus und die Einrichtung in der Hostel-Küche ist mehr als dürftig. Aber das Ergebnis befriedigt mich dennoch mehr, als alles, was es auf der Straße zu kaufen gibt. Und für morgen habe ich gleich auch noch vorgekocht.

Trotz röhrenden Motos und lautem Verkehr kann ich dank Ohropax doch ganz gut bei offenem Fenster bis 7 Uhr schlafen. Als ich um 7.30 Uhr gewaschen und gestylt auf den Balkon raustrete, rieche ich, dass die Friteusen Medellíns bereits wieder auf Hochtouren arbeiten. Ich gebe noch einen Beutel Wäsche bei der Señora ab und buche für den Nachmittag eine Graffiti-Tour durch die Comuna 13. Dann mache ich mich auf zum Jardín Botaníco, in dem ich meine Kamera mehr auf Fauna denn auf Flora fokussiere.

Von da geht es weiter mit der Metro in die Stadt, denn um 13.30 Uhr startet meine Graffiti-Tour durch die Comuna 13.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..