Vom Botanischen Garten geht es weiter mit der Metro in Richtung Stadtzentrum, wo ich an der Estación San Antonio in die Metro nach San Javier wechsele und – immer noch mit dem gleichen Ticket – eine Hin- und Rückfahrt mit der Seilbahn (Metro Cable) über die Dächer der Anwohner hinweg nach La Aurora unternehme. Die Sicht von oben ist so spannend …






und die Seilbahn überfliegt unerwartet sogar noch zwei weitere Hügel und Täler bis zur Endstation La Aurora. Ich bleibe beim Turnaround einfach sitzen und fahre wieder abwärts.



Denn um 13.30 Uhr startet meine Graffiti-Tour durch die Comuna 13. Tour-Guide Juan sammelt erst mal die Schäfchen seiner heutigen Tour ein, wir sind zu 9, bevor wir gemeinsam in einen der grünen Collectivos einsteigen. Unterwegs springt ein junger Kolumbianer heller Hautfarbe, aber roter Haarfarbe in den Bus. Der kleine, gedrungene Typ schaut sich verschmitzt im Bus um und gibt ein anerkennendes „Hombre!“ von sich, das er mit einem flirtenden Augenaufschlag à la „Olala!“ in Richtung eines jungen Touristen-Paares wirft. Ich schaue mir das Paar an und weiß in diesem Augenblick, dass der rothaarige Kolumbianer nicht die Frau, sondern den äußerst gutaussehenden, durchtrainierten, bärtigen Mann neben ihr ins Visier genommen hat. Ich lache laut – und der Schwule grinst: Claro, amo hombres!


So entspannt und lustig ist die Geschichte der Comuna 13 natürlich nicht. Schließlich galt dieser dicht besiedelte Stadtteil Medellíns als einer der gefährlichsten Orte der Welt. Während des Medellín-Kartells unter Pablo Escobar (ca. 1975 – 1993) und den Kämpfen zwischen rechten Paramilitärs und linker Farc-Querilla sind Mord und Totschlag an der Tagesordnung, Gangs und Drogenbanden bekriegen sich gegenseitig und rekrutieren die Kinder der armen Bevölkerung. Erst die militärische Operación Orión setzt dem im Oktober 2002 ein Ende. Präsident Álvaro Uribe geht dabei genauso gewalttätig gegen die Comuna-Bewohner vor und setzt 3.000 Mann des Militär, der Polizei und von Sondereinheiten, ja sogar Panzerfahrzeuge und Hubschrauber, ein. Während der mehrere Tage dauernden Operation schießen die Soldaten auf alles, was sich bewegt: Alte, Männer, Frauen und Kinder. Selbst die rausgehängten weißen Tücher gewähren den Anwohnern keine Schonung. Es sterben 600 Zivilisten, Hunderte verschwinden spurlos bzw. wird vermutet, dass die Leichen der Vermissten in einer nahen Steinbruch-Deponie verscharrt wurden (im Bild zu sehen).

Ein Veränderung zum Guten brachten dann die 2011 in Betrieb genommenen 6 Freiluft-Rolltreppen, die die ganze Comuna 13 über umgerechnet 28 Stockwerke miteinander und mit den Verkehrssystemen der Stadt verbindet. Der funktionierende Nahverkehr sowie der Zugang zu Bildung, Sport und Kultur sind die Grundsteine für die Transformación der Gemeinschaft. Heute ist die Comuna 13 ein beliebtes Touristenziel, in dem die Bewohner mit Musik, Hip-Hop, Graffiti ihren Werten, Zielen und Träumen ein Gesicht geben und ihre Vergangenheit aufarbeiten.






Auch wenn wir gerade auf einer Graffiti-Tour sind, so sind die Gemälde auf den Mauern streng genommen „Murals“ – so klärt uns Juan auf. Denn Graffitis sind eigentlich Schriftzüge, Botschaften, die an die Wand gesprayt werden. Graffitis werden in der Comuna 13 nur von namhaften Künstlern gezeichnet. Es ist eine Ehre, hier eine Wand gestalten zu dürfen. Und alle paar Monate werden die riesigen Murals dann auch wieder übermalt. So ist das Gesicht der Comuna 13 in stetigem Wandel.




Ursprünglich waren die ersten Bewohner der Berghänge enteigenete Bauern, die sich hier einfache Holzhütten bauten und nahe der Stadt ihr Glück versuchten. Neben den Symbolen für Tanz, Musik und Bildung sind auch diese Holzhäuser oft in den Graffiti-Gemälden zu finden. Tiere wie Elefant, Biene, Ameise deuten auf Stärke, Fleiß und starke Gemeinschaften hin.






Wir besuchen bei der Tour auch ein kleines Privat-Museum mit Bildern und Artikeln aus der schweren Zeit der Bandenkriege. Das ist schon alles sehr beeindruckend. Ich möchte auf jeden Fall noch einmal hierher kommen und ganz ohne Anhang über die Wege und Treppen streifen.






Wir verabschieden uns von Juan und mit der brechend vollen Metro fahre ich nach Campo Valdes zurück. Ich bin so platt und froh, schon ein Essen im Kühlschrank stehen zu haben. Auf einer kleinen Abendrunde durchs Revier genehmige ich mir noch ein Bierchen und ein Aguardiente im Pub, bevor ich in meinem 3 m² Zimmer in einen tiefen Schlaf falle.