Der Dienstag startet mit einem Spektakel bei meiner Bäckerei am Eck. Ein Bus wurde durch drei Polizei-Motorräder an der Kreuzung zum Stehen gebracht. Nun herrscht große Aufregung … und die ganze Nachbarschaft verfolgt gebannt, was hier vorgeht – einschließlich meinem Bäcker. Ich frage nach und anscheinend ist der Busfahrer ohne Papiere unterwegs. Das heißt, er darf nicht weiterfahren und alle Fahrgäste müssen aussteigen. Die sind natürlich stinksauer und mischen sich lauthals und wild gestikulierend in die Debatten ein.


Das Pueblo Guatapé am gleichnamigen Stausee liegt etwa 85 km von Medellín entfernt. Viele machen nur einen Tagesausflug dorthin, ich möchte aber nicht ständig auf die Uhr schauen und werde deshalb über Nacht bleiben. Der lokale Bus fährt vom Terminal del Norte ab, das ja nicht so weit von meinem Hostel entfernt liegt. Und wie genial: Wenn ich schon mal hierbin, kann ich gleich am Schalter von Rapido Ochoa das Busticket für meine Weiterfahrt nach Jardín für den kommenden Freitag buchen. Gesagt getan und schon geht’s weiter an den Schalter Richtung Guatapé. Auch da läuft es wie am Schnürchen, Ticket gekauft, Gepäck gescannt und den letzten Platz im vollen Bus erwischt, den ganz vorne am Fenster. Um 8.50 Uhr setzt sich der Bus in Bewegung, die 2-stündige Fahrt kostet gerade mal 4 € (15.000 COP). Das ist mal ein günstiger Touri-Ausflug, bei dem ich – nach Verlassen des Stadtgebiets – genussvoll die Aussicht genieße auf sanfte Hügel, Wiesen und Weiden mit kleinen Fincas, die Rinderzucht oder Gemüseanbau betreiben.

Die Auswahl des Hostels in Guatapé war nicht ganz einfach, denn wenn man die Luftaufnahme der Region anschaut, hat man schon die Qual der Wahl, in welcher der Nischen und Buchten des riesigen Stausees man sich niederlassen sollte. Oder doch gleich direkt in dem Örtchen übernachten? Da zu erwarten ist, dass Guatapé äußerst touristisch, laut und nicht wirklich ursprünglich ist, habe ich ein Hostel etwa 15 Minuten Fahrzeit vor Guatapé gewählt. Es liegt günstig nahe eines Bushalte- und Rastplatzes an der Straße, ich komme also jederzeit mit dem Collectivo überall hin und wieder zurück. An diesem Busstopp lasse ich mich nun also von meinem Fahrer mitsamt Zweitages-Gepäck absetzen und laufe nur ein paar Meter bis zum Galeria Hostel:



Ist das nicht eine fantastische Lage mit einem sensationell entspannenden Ausblick?!? Ja, neben dem Stausee, der erst in den 70er Jahren angelegt wurde, ist dieser riesige Monolith die weitere Attraktion der Region:
La Piedra de El Peñol




Jetzt ist erst mal Schwimmen, Sonnenbaden und Relaxen angesagt. Die wunderbare Ruhe und die Natur tun unglaublich gut nach den lauten und wuseligen Städten Cartagena und Medellín und das Wasser des Sees ist ein Traum – von der Aussicht ganz zu schweigen!


Okay, erst um 13 Uhr mit der Umrundung und dem Aufstieg zum El Peñol zu starten, ist bei der Hitze vielleicht etwas verplant. Aber die Sicht und das Licht sind sicher besser als am Morgen und ich habe ja meinen roten Sonnenschirm als Schattenspender dabei. Vom Hostel aus kann ich in einem Bogen zum Fuß des Granitpfeilers aufsteigen und dort entlang eines herrlichen Wanderpfades in ca. 30 Minuten um den ganzen Sockel wandern – natürlich mit herrlichen Aussichten.






Nach etwa 20 Minuten komme ich zu einem steil aufführenden Pfad, der als Abkürzung zum Eingang des Peñol-Aufstieges führt. Ein fleißiges Ehepaar steht Spalier und möchte für das Durchqueren ihres Areals ein Wegegeld. Die Art und Weise der Geldeinforderung gefällt mir gar nicht. Da ich nicht fußlahm bin, laufe ich den weiteren Weg außen rum und erklimme über die offizielle Zufahrt (ja, man kann sich natürlich auch mit einem der bunten Tuk-Tuks oder mit dem Auto hochfahren lassen) die letzten Höhenmeter bis zur riesigen Treppe, die in 670 Stufen auf den 2.135 m hohen El Peñol führt.



Das massive Treppenbauwerk kann mit der Optik wohl keinen Design-Preis gewinnen, ist aber geschickt angelegt, denn Aufstieg und Abstieg sind voneinander getrennt.
Der Andrang ist überschaubar, die Treppe liegt im Schatten und gegen die 1.800 Treppen hoch nach Machu Picchu ist das hier ein Klax. Der Ausblick ist aber nicht minder atemberaubend:




Solch ein fotogener Hotspot zieht natürlich auch das Instagram-Völkchen an und so vergehen an der Reling schon mal 10 Minuten, bis alle Posing-Varianten durchexerziert sind. Aber ich habe ja alle Zeit der Welt und muss nicht wieder runterspurten, um das Collectivo nach Medellín zu erwischen. Nach einem miserablen Kaffee in der dürftigen Gipfel-Restauration versuche ich noch einmal mein Glück. Dabei treffe ich auf drei junge Chilenen, die in jedes Foto ein Bild halten. Weil sie mir sympathisch sind, frage ich, ob ich sie zusammen mit dem „Foto im Foto“ ablichten soll, was sie begeistert annehmen. Dann erzählen sie mir, dass sie diese Kolumbien-Reise eigentlich zu viert unternehmen wollten, ihr bester Freund aber ernsthaft erkrankt ist und deshalb nicht mit konnte. Nun denken Sie bei jedem Foto-Spot an ihn und lassen ihn so teilhaben. Da fällt mir doch glatt ein, dass ich Hasi noch gar nicht mit diesem fantastischen Ausblick in Szene gesetzt habe, was ich natürlich gleich nachhole.
Gut 1,5 Stunden verbringe ich auf dem Granitfelsen, bevor ich mich wieder an den Abstieg mache. Nächstes Ziel ist das Örtchen Guatapé. Die asphaltierte Straße bergab ist wirklich ätzend, deshalb nehme ich das Angebot eines Chiva-Tuk-Tuk-Fahrers nur allzu gern an, der mich für 4.000 COP nach Guatapé fährt.




Schon die farbenfrohe Gestaltung des Chiva-Tuk-Tuks lässt erahnen, was mich in Guatapé erwartet. Das Pueblo auf 1.925 m ist bekannt für seine bunten Reliefbordüren an den Häusersockeln, den Zócalos. Guatapé hat nicht nur einen schönen Marktplatz mit Kirche und Rathaus …



sondern auch den 2011 gestalteten bunten Plazoleta del Zócalo …



und wirklich jedes Haus in den Gassen ist anders gestaltet mit fantasievollen Mustern, schönen Motiven aus der Natur oder lustigen Szenen aus dem Leben der Bewohner.


















Zwar nicht echt kolumbianisch, dafür aber echt vegetarisch lasse ich mich zum Abendessen auf der kleinen Dachterrasse des Namaste nieder, bevor ich mit dem Tuk-Tuk zurück zu meinem Hostel fahre.



Die Atmosphäre am Abend im Hostel ist toll, das Hostel-Team ist super freundlich, viele Mädels nächtigen hier und alle zusammen verbringen wir eine entspannte Zeit am Lagerfeuer.
Am nächsten Morgen schleiche ich früh aus dem Bett, um neben der Abendstimmung auch die Morgenstimmung am See einzufangen. Es ist wolkig und neblig, unter anderem auch, weil eine Backpackerin meint, mir rauchend Gesellschaft leisten zu müssen.


Nach dem Frühstück gehe ich noch einmal eine große Runde schwimmen und lass mir auf dem Ponton die warme Sonne auf den Pelz scheinen. Um 12 Uhr stehe ich an der Bushaltestelle in Fahrtrichtung Medellín. Der erste Bus fährt übervoll an mir vorbei, doch der zweite hält an. Auch er ist vollbesetzt, aber ob meines Alters tritt mir ein junger Kolumbianer seinen Sitzplatz ab. Neben mir sitzt Sophia, leicht alternativ, 38 Jahre alt, aus Medellín. Sie lebt mit ihrem Töchterchen in Guatapé und verkauft Silberschmuck. Heute ist sie auf dem Weg zu ihrer Mama – hört sich nach einem „Pflichtbesuch“ an. Sie möchte mich gleich auf einen Kaffee bei Muttern mitnehmen 😉
Eine große Freude ist auch immer der Umgang miteinander in den lokalen Bussen: Jeder grüßt und verabschiedet sich ordentlich und lautstark, dankt dem Busfahrer für seinen Service und drückt ihm beim Aussteigen das abgezählte Fahrgeld in die Hand. Von dieser Freundlichkeit könnten wir uns daheim schon mal ’ne Scheibe von abschneiden.
Gegen 14 Uhr komme ich am Terminal del Norte an und fahre gleich mit der Metro stadtauswärts Richtung Acevedo, um von dort aus auch mal mit der Seilbahn zu fahren, die zum Parque Arví hinauf führt. Bei diesem Park handelt es tatsächlich um einen echten Naturpark, in dem man weitläufige Wanderungen unternehmen kann. Allerdings wird dafür ein Guide und ausreichend Zeit empfohlen, weshalb ich nur mal einen Blick hochwerfe und an der Estación Santo Domingo wieder umkehre.



Witzigerweise suche ich seit meiner Ankunft in Medellín die markanten und architektonisch hoch gerühmten Türme der Biblioteca de España. Dabei bin ich an diesem Tag an ihnen vorbeigefahren, ohne es zu merken. Die beiden Türme auf dem letzten Bild wurden nicht von Christo als Kunstwerk verhüllt, sondern aufgrund massiver Baumängel!
Zurück geht es bis ins Stadtzentrum von Medellín. Der Nutibara wäre ein weiterer Aussichtspunkt über Medellín, ist mir aber auch zu zeitaufwändig und bei der Hitze zu anstrengend. Ich ergehe mich stattdessen ebenerdig in den Einkaufsstraßen und Plätzen Medellíns, von allen Seiten beschallt mit „à la orden“ und wahrhaft erstaunt über die Artenvielfalt und den Einfallsreichtum der Verkäufer/Innen beim Bau ihrer mobilen Verkaufsstände und Kioske:














Ob Kisten, Kasten, Einkaufswagen, Kinderwagen, Kleiderständer, Paletten, Handwagen oder Rad – alles geht als Basis für den eigenen Stand her. Die Bestückung ist ebenso fantasiereich und wird – notfalls auch mit Mikro – aggressivst zum Kauf angeboten.
Unweit des Plaza Botero hatte ich eine Restaurant-Empfehlung ausgemacht, natürlich wieder vegetarisch für mich, Govindas. Von meinem Tisch hier oben habe ich das ganze Treiben auf der Straße und dem Vorplatz der alten Iglesia de la Veracruz voll im Blick.

Das ist einerseits sehr spannend, andererseits aber auch ein erbärmliches Gefühl. Denn auf diesen paar Quadratmetern kommt alles zusammen: die fahrenden Händler, die immer auf der Hut vor der Policia sind, die gestylte Geschäftsfrau in High-heels auf dem Weg zum Termin, der Businessman am Handy, die Familie mit Kindern beim Bummeln, die Nutten und Transvestiten, die ihrem Gewerbe hier nachgehen, die indigene Kindergruppe, die ihre Tänze gegen Geld aufführen, aber auch die ärmsten der Armen … Bettler, Alkoholiker, Drogenabhängige, die – während ich hier im Govindas esse – im Müll nach Essbarem suchen, ihren Rausch neben den Dixie-Klos ausschlafen oder die abgestellten Müllsäcke aufreißen, um den Inhalt nach Kartonage, Plastikflaschen und Restmüll zu trennen, um mit dem Gesammelten ein paar Pesos beim Recyclinghof zu verdienen. Schockierend!!





Diese Anblicke muss ich erst einmal verdauen und sie machen mir Medellín, die von allen so gehypte Metropole, nicht wirklich sympathischer.
Voller Eindrücke und nachdenklich mache ich mich auf den Weg nach Hause. Die Metro in meine Richtung ist brechend voll, weshalb ich kurzerhand einfach mal ein paar Stationen stadtauswärts fahre. Mit meinem Rucksack fühle ich mich einfach sicherer, wenn ich einen Sitzplatz habe.
So sehen übrigens die Müllhalden an den Straßenrändern in Campo Valdes aus, eine Woche nachdem ich in Medellín angekommen bin. Immer noch nicht entsorgt, dafür auseinander gerissen auf der Suche nach Verwertbarem:

In meinem Mini-Zimmer ist nun noch eine Peruanerin ins obere Bett eingezogen, die sich aber auch sogleich ins Medelliner Nachtleben stürzt, wohingegen ich mir als Betthupferl noch eine Cerveza und ein Aquardiente in einer nahen Bar gönne.
Am letzten Tag in dieser Großstadt mache ich mich noch einmal zu Fuß auf den Weg ins Zentrum und durchstreife die Straßen meines Viertels. Auf die Innenstadt habe ich keine große Lust mehr und fahre deshalb gleich mit der Metro hoch nach San Javier zu meinen Wiederholungstaten: noch einmal eine Metro Cable-Rundfahrt nach La Aurora und geschlagene drei Stunden in allen Ecken und Gassen der Comuna 13.
Unter anderem besuche ich das kreative Café und Atelier des bekannten Graffiti-Künstlers Chota_13 und probiere das in der Comuna gebraute Bier.











Adiós Comuna 13 – Adiós Medellín – Buenos dias Jardín!