CHIANG RAI: TEMPEL-TRÄUME IN WEISS-BLAU

Den großen Backpack hinten, den Tagesrucksack mit Hasi vorne schleiche ich am Donnerstag 22.12.2022 um 7 Uhr – verbotenerweise mit meinen Straßenschuhen – die schmalen Treppenstiegen des Royal ThaTien Village Guesthouses in Bangkoks Altstadt hinunter. Mit der MRT Blue Line geht es zuerst bis zum Chatuchak Markt, per pedes zur Mochit Busstation und dann mit dem A1 Bus super bequem über die Fast Lane und mit nur drei Passagieren an Bord in 30 Minuten zum Domestic Airport Don Mueang. Immer wieder interessant zu erleben, dass der öffentliche Nahverkehr überall bestens funktioniert und dabei spottbillig ist. In Deutschland kriegen wir das einfach nicht hin.

Auch am Airport selbst läuft alles reibungslos und so hebt meine Lion Air Maschine super pünktlich um 12.30 Uhr mit Ziel Chiang Rai ab. Noch ein Fun-Fact: Als ich beim Boarding in der Schlange stehe, stelle ich mit Genugtuung und einem Schmunzeln fest, dass ich in Asien mit meinen 1,65 m doch tatsächlich zu den großen Menschen zähle und eigentlich alle um einen Kopf überrage.

20 Minuten vor der Zeit landen wir auf dem Mini-Flughafen von Chiang Rai. Von einem Airport-Shuttle, das es hier laut Recherche wohl geben soll, ist – nach Corona – weit und breit nichts zu sehen. Und die Auswahl an Taxlern ist begrenzt und leider durchweg überaus unfreundlich. Ich schließe mich kurzerhand einem jungen Backpacker-Pärchen aus Moskau an. Sie müssen durch die Stadt zu ihrem Hostel und nehmen mich mit … was dem Taxler allerdings gar nicht gefällt. Er ignoriert den zusätzlichen Stopp den wir ihm auf Google Maps unter die Nase halten. Also hilft nur: Fahrt per GPS verfolgen und zu einem günstigen Zeitpunkt laut aufschreien. Tatsächlich hält der muffige Typ an, will aber meinen Backpack aus dem Kofferraum nur gegen weitere Kohle zu den vereinbarten 160 Baht für zwei Stopps herausgeben. Verärgert zücke ich eine 20 Baht Note, woraufhin er 100 Baht einfordert, also die Summe, die ich fürs Taxi alleine gezahlt hätte. Jetzt reicht’s! Ich lasse energisch die Domina raus, öffne den Kofferraumdeckel und nehme mein Backpack an mich.

Das Bed-Friends Poshtel liegt zentral in einer Seitengasse, ist wunderbar modern und sauber. Ein halbes Stündchen schlage ich mir noch auf der Dachterrasse um die Ohren, bis das Bett im 4er Dorm fertig ist.
Und schon wieder gibt es Ärger in Chiang Rai: Obwohl ich meinen Schlafplatz schon Monate im Voraus gebucht habe, weist mir die Lady das absolut schlechtestplazierte Bett im fensterlosen Dorm zu. Oben, ohne jegliche Ablagemöglichkeit, ohne Licht, ohne Steckdose und direkt unter der riesigen Air Condition. Nachdem das Nachbaretagenbett noch ganz leer ist, stehe ich kurz später wieder an der Rezeption. Und siehe da: Schneller als ich alle Mängel aufzählen kann, wird meine Schlüsselkarte umprogrammiert. Nun habe ich ein ebenerdiges Bett mit hübschen Vorhängen, Licht und Nachttisch.

Einladend … aber erst einmal geht es auf Erkundungstour durch die belebten Straßen und Gassen von Chiang Rai, vorbei am goldig-kitschigen Clocktower und schließlich zum Wat Phra Kaew, dem Tempel des Smaragd-Buddha. Ja, richtig gelesen. In Chiang Rai wurde der berühmte und weitgereiste Emerald Buddha 1434 praktisch wiederentdeckt – als ein Blitz in einen Chedi einschlug und unter einer zertrümmerten Stuckschicht der grüne Stein zum Vorschein kam. Inzwischen logiert der echte Smaragd-Buddha ja in der Hauptstadt Bangkok.

Erstaunlich, dass jeder Tempel eigentlich dem gleichen Zweck dient, aber doch so unterschiedlich gestaltet ist. Thai, Lanna, Khmer Stile mischen sich genauso, wie die künstlerische Freiheit der Erbauer. Im Abendlicht ist die Stimmung in der Tempel- und Klosteranlage Phra Kaew besonders schön, viele junge Mönchsnovizen huschen zwischen den hübschen Holzgebäuden hin und her und bereiten die abendliche Ordination vor.

Auch sehr stimmungsvoll, obwohl nur ein Tempel 3. Klasse. Und der grüne Buddha ist „nur“ ein Nachbau.

Auf dem Rückweg zum Hostel komme ich unweigerlich durch die quirlige Walking Street, wo jetzt die Essensstände voll das Geschäft aufgenommen haben. Bei den besten Angeboten – also für europäische Mägen – muss man schnell zugreifen, sonst sind die Leckereien schon vergriffen. Ich probiere Coconut Pancake und entscheide mich dann für sechs der lecker aussehenden Dim Sum.

Boah, was für eine Gaumenfreude!!! Aus der Tüte essend, bin ich schon eine gutes Stück vom Stand weg, aber davon muss ich unbedingt noch mehr haben! Also schnell zurück … und kurzentschlossen greife ich auch noch bei den Tintenfischspießen der Nachbarin zu. Zum besseren Handling und zum Tüteneinsparen lasse ich mir die Soße gleich über die entspießten Oktopusse gießen. Oha, war ja eigentlich davon auszugehen, dass das Dressing für europäische Zungen viel zu scharf ist! Glücklich und satt streife ich weiter, shoppe erstmals am Nachtmarkt und lande zu guter Letzt noch in Chiang Rais Katzen-Café, wo mich mangels Leckerlies keine Katze eines Blickes würdigt. Dafür ist der Caramel frappé umso köstlicher.

Für nächsten Morgen stelle ich mir den Wecker auf 6 Uhr, denn ich habe im Netz gelesen, dass der erste lokale Bus um 7.10 Uhr zum Weißen Tempel fährt. Wie meistens, so werde ich auch an diesem Morgen 10 Minuten vorm Alarm von selbst wach. Dann störe ich zumindest keine der Mitschläferinnen. Leise mache ich mich in unserer Schlafkammer und im separaten Gemeinschaftsbad fertig. Auch im Wat Rong Khun, wie der Weiße Tempel offiziell heißt, und mit dessen Bau der Künstler Chalermchai Kositpipat erst 1997 begonnen hat, wird zu Ehren Buddhas Wert auf dezente Kleidung mit wenig Fleischbeschau gelegt.

Um kurz vor 7 Uhr laufe ich also bei der zentralen Busstation von Chiang Rai ein. Zwar fährt ein Bus an der mit „White Temple“ beschilderten Parkbucht ein, doch auch hier haben sich wohl die Fahrzeiten nach Corona reduziert. Der erste Bus fährt erst um 8.10 Uhr los. Aber zumindest kann ich schon einsteigen, hier am Tagebuch schreiben und derweil einen Sticky Rice im Bambusrohr zum Frühstück spachteln.

Zu gerne hätte ich ja das schöne Morgenlicht am Tempel und weniger Besucherandrang genossen. Aber die Taxi- oder Tuk-Tuk-Fahrten zum Tempel 15 km außerhalb Chiang Rais sind um das 20-fache teurer. Oh, gerade ertönt die Nationalhyhmne aus den Lautsprechern des Busbahnhofs und alle Thais halten inne. Dieses Ritual wiederholt sich täglich morgens um 8 und abends um 18 Uhr. Es lebe der König!

Ich habe wahnsinniges Glück, die Tempelanlage liegt noch immer bei smogfreiem, blauem Himmel im warmen Morgenlicht. Für Fotos ohne oder mit wenig Touristen muss man dann aber schon Geduld aufbringen. Aber ich habe ja alle Zeit der Welt und versuche, jedes Detail dieses faszinierenden Kunstwerks aufzunehmen – ein schier unmögliches Unterfangen.

Der Wat Rong Khun ist wunderbarerweise komplett in Weiß gehalten (die Farbe der Trauer in Thailand symbolisiert hier die Reinheit Buddhas) und mit Spiegelelementen verziert. Der Künstler verbindet verschiedene Epochen und Kulturen, selbst Spiderman, Hello Kitty oder Michael Jackson werden im Ubosot dargestellt. Von den Abgründen der Hölle führt im Zyklus der Wiedergeburt eine Brücke zum Raum Buddhas. Obacht: Ein Richtungswechsel auf der Brücke, also ein Absteigen zurück zur Hölle, ist aus religiösen Gründen streng untersagt, genauso wie das Fotografieren im Ubosot. Alles in allem sind die Gemälde im Innern aber recht „spacig“ und stehen in vollem Kontrast zu dem strahlenden Weiß.

Phallus und Stinkefinger habe ich tatsächlich erst daheim beim Anschauen der Fotos gesichtet.

Mit freudigem Erstaunen über so viel Kreativität und Phantasie wandle ich auf der Himmelsbrücke hinauf. Das Weiß wird vom strahlend blauen Himmel wunderbar in Szene gesetzt – wie daheim: weiß-blau halt.

Die Figuren auf dem Dach stellen die Elemente dar: Elefant-Erde, Schwan-Wind, Naga-Wasser, Löwe-Feuer.

Auf dem gleichen Gelände gibt es noch ein paar kleinere Tempel zu besichtigen, die aber voll im Schatten des weißen Tempels Wat Rong Khun stehen. Wie auch für den goldenen Uhrturm im Kreisverkehr von Chiang Rai, so zeichnet der thailändische Künstler Chalermchai Kositpipat für das Kunstwerk verantwortlich, welches er ausschließlich mit eigenen Mitteln, Spenden, freiwilligen Unterstützern und dem Tourismus finanziert. Begonnen hat er 1997 und mit der Fertigstellung wird frühestens 2070 gerechnet. Ich habe dann auch mal ein paar gute Wünsche für die Zukunft in die Bäumchen gehängt.

Nach so vielen Impressionen brauchen Hasi und ich erst einmal eine Verschnaufpause und ich unbedingt einen Cappucchino. So sitzen wir zwei also in Thailand in einem Café gegenüber eines buddhistischen Tempels – und aus den Boxen erklingt „Stille Nacht, heilige Nacht“ und „Oh Tannenbaum“!

Ich laufe zurück zur Hauptstraße, um dort auf den nächsten Bus zu warten. Es ist brütend heiß und ich bin echt geschafft. Ach wie geil! Da hält doch glatt ein Songthaew und lädt mich hinten auf. Auf der Laderampe sitzt eine bunte Mischung, einschließlich eines wirklich uralten Mönches mit stylischer Brille.

Kurze Rast und schon geht es weiter mit dem lokalen Bussystem in die andere Richtung raus aus der Stadt zum Besuch des Blauen Tempels. Der Hammer, das so eine Blechschüssel überhaupt noch fährt. Ich habe noch einen Platz auf der hinteren Rückbank ergattert und verfolge gespannt, wie Autoreifen, Kokosnüsse, Pakete und Passagiere eingeladen werden, bis die Kiste rammelvoll ist. Kurz vor Abfahrt wird der Motor mal warmlaufen gelassen und die Air Condition in Form von Deckenventilatoren im Wartungsstau springen tatsächlich an. Herrlich, gerade mal 20 Baht, also 50 Cent, kostet die Fahrt in die Vororte.

Dann rumpeln wir aus Chiang Rai raus. Dank Google Maps und GPS, ohne die ich vermutlich jedes Mal bis zur Endstation mitgondeln würde, steige ich in der Nähe des Blauen Tempels aus. Die nächste Straße geht’s links rein … da brauche ich kein GPS, denn in diese Gasse fahren unzählige schicke Vans und Taxis mit Touristen.

Entsprechend überlaufen ist der Wat Rong Suea Ten denn auch. Schnell mit dem Auto hin, Fotoshooting und weiter geht die geführte Tour. Gut, dass ich bei meinen Reisen nicht immer auf die Uhr schauen muss. Rundum ist der Blaue Tempel eher ein bisschen kitschig … so mit Drachen und Tigern und so. Aber das Innere hat schon ein besonderes Ambiente. Ganz mein Ding, die bunten, fantasievollen Gemälde und die harmonischen Ornamente in Türkis-Blau-Weiß. Und der verschmitzt grinsende Buddha gefällt mir auch gut, auch wenn er ein bisschen nach Plastik ausschaut.

Auch mal interessant zu sehen, wie der „Rohbau“ ausschaut.

Nachdem ich alle Eindrücke in mich aufgesaugt habe, laufe ich wieder zur Hauptstraße vor, um einen fahrbaren Untersatz zu organisieren. Viel Verkehr ist hier schon, aber dass da gerade mal so ein Bus ins Zentrum kommt, ist eher unwahrscheinlich. Vielleicht habe ich ja wieder Glück mit einem Songthaew?! Dann steht plötzlich eine junge Touristin, wie sich rausstellt aus Südkorea, hinter mir. Wer nicht kommuniziert, bleibt sitzen. Ich spreche sie an, ob hier ein Bus fährt, da wir eigentlich vor einem Hotel stehen. Doch welch ein Glück, sie hat seit zwei Stunden versucht, über drei verschiedene Apps ein Taxi zu buchen. Demnächst kommt es endlich und natürlich packe ich die Gelegenheit gleich beim Schopf und reise mit.

Zum Abschluss dieses herrlichen Tages versuche ich noch einmal mein Glück im Katzen-Café. Obwohl es erst ab 17 Uhr Leckerlies gibt, überzeugt heute meine Entspanntheit, meine Kraultechnik und meine Geduld.

Jetzt geht’s heim zum Duschen, danach zu den Garküchen und morgen weiter nach Chiang Mai.
Ich bin sehr glücklich so einen Tag vor Heilig Abend.

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