ZU(E)GIGE ZEITREISE NACH SUKHOTHAI

Das war mir eine Lehre! Nie wieder werde ich mich, sofern nicht zwingend notwendig, in ein gemischtes Dorm einmieten! Sechs Betten, nur zwei davon belegt, aber der einzige andere Gast – männlicher Gattung – hat leider über Nacht so viel Hektar Wald abgesägt, dass ich trotz Ohropax kaum ein Auge zugemacht habe.

Ziemlich gerädert schleiche ich gegen 7 Uhr ins Bad und anschließend zum Frühstücksbuffet, welches schon ab 7 Uhr bereitstehen soll … Gut, Zeitangaben sind flexibel und das Hostel kaum ausgelastet. Nach einem Rundumblick über die Tischchen bin ich mir noch unschlüssig, was auf nüchternen Magen bekömmlicher ist: die asiatische Suppe mit Chili oder die artifizielle Marmeladenauswahl in der Konsistenz eines Haargels? Ich bin feige und entscheide mich für nacktes Toast und schwarzen Kaffee.

Für meine fleischlosen und eher süßen Gelüste am Morgen ist auch die Auswahl an den Essensständen rund um den Bahnhof in Lampang eher begrenzt und die Verständigung im touristischen Niemandsland nicht erhellend. Was ist das wohl, was mir da aus den gestapelten Plastikboxen entgegen lacht?! Mit Kokosnussraspeln und farbig … das könnte süß sein. Wie die neben mir stehenden Bettelmönche lasse ich mich überraschen, was schlussendlich in meinem Körbchen landet. Ich werde es während der knapp 5-stündigen Zugfahrt in der 2. Klasse von Lampang nach Phitsanulok schmecken.

Warum ich eine geschlagene Stunde vor Abfahrt am Bahnhof sein sollte, erschließt sich mir angesichts der minutengenauen Anfahrts- und Abahrtszeiten noch nicht. Wollte der Ticketverkäufer sein Englisch an mir ausprobieren und lag damit genauso falsch, wie mit seiner Info, dass der Zug auf Plattform 2 abfahren soll? Oder ist der Spielraum fürs Eintreffen und Abfahren so groß bemessen?

Nach der ersten halben Stunde macht mich ein netter Bahnuniformierter darauf aufmerksam, dass ich für „Car No. 2 Richtung Bangkok“ im ausgewiesenen Bereich „Car No. 5“ warten muss. Eigentlich ja logisch, oder? Also dackel ich mit meinem Backpack wieder zurück und werde als einzige Ausländerin am Bahnhof von allen Seiten interessiert beobachtet.

Auf jeden Fall sind auch andere Fahrgäste schon anwesend und uns wird die Zeit am hübschen Bahnhof mit entspannter Thai-Musik versüßt – lediglich unterbrochen von der Nationalhymne um Schlag 8 Uhr, zu der sich alle erheben und stille stehen, und der einzigen Zugansage an diesem Morgen, dem meinigen.

Und täglich grüßt …
Töff, töff, töff, die Eisenbahn

Mit 15 Minuten Verspätung fährt der in die Jahre gekommene Rapid 102 in Nakhon Lampang ab. Hasi und ich haben es uns auf dem reservierten Fensterplatz gemütlich gemacht. Na super, mein Schiebefenster lässt sich gar nicht schließen. Der Schaffner will mir daraufhin den massiven Holzrolladen hochziehen, aber das geht ja gar nicht! Nur gut, dass ich mit Brille, Tuch und Jäckchen gegen den Fahrtwind gewappnet bin. Zumal die Wahrscheinlichkeit vom Deckenventilator erschlagen zu werden in diesem alten Unikum ungleich höher ist, als im Zug einen Zug zu kriegen. Insgeheim bin ich froh, dass sich aktuell keiner der schweren Eisenpropeller dreht – noch nicht ahnend, dass sich das mit fortschreitender Tageszeit, Fahrtzeit und dem damit einhergehenden Temperaturanstieg ändern wird.

Im Moment ist mein Blick gefesselt von der Landschaft, die an meinem offenen Ausguck vorbeifließt. Zuerst hält der Zug nur sehr selten an süßen kleinen Bahnhöfen wie Mae Mo, Ban Pin, Den Chai und je weiter wir nach Süden reisen immer öfter wie in Sila At, Uttaradit, Tha Sak, Ban Dara Junction, Phi Chai, Noch Thon.

Zugiger Fenstergucker

Längst ist das Zugabteil voll besetzt, alle Rollläden – bis auf meinen – sind geschlossen und die Deckenventilatoren drehen sich bedrohlich und geräuschstark. Mit Argusaugen beobachte ich das mir am nächsten montierte Exemplar, bei welchem der Spalt zwischen Ventilatorboden und Decke zunehmend größer und die Rotation immer eiriger wird. Und da! … Ich habe es kommen sehen! … fliegt die erste fette Schraube durchs Abteil! Zum Glück darf ich bei der nächsten Station in Phitsanulok aussteigen, bevor ich von dieser rotierenden Guillotine enthauptet werde.

Es ist 13.45 Uhr und mit mir steigt ein junges Pärchen aus der französisch-sprechenden Schweiz aus. Zusammen nehmen wir ein Songthaew zum nächsten Busterminal, wo wir leider gerade den Chicken Bus nach Sukhothai verpasst haben. Die Schweizer überlegen nicht lange, schließen sich mit einem weiteren Duo zusammen und buchen die teurere Songthaew-Variante. Im Nachhinein betrachtet wäre ich mit dieser Option auch um einiges besser – und vor allem kürzer – gefahren.

Aber nein, ich mag’s ja nicht einfach, wenn’s auch günstiger und komplizierter geht. Der nächste lokale Bus nach Sukhothai New Town fährt erst um 15.30 Uhr. Zu der doch stolzen Entfernung von 60 km hatte ich weder die unendlich vielen Milchkannen-Stops hinzugerechnet, noch den Fakt, dass ich von der New Town zusätzlich wieder ein Songthaew brauche um zur Ancient City von Sukhothai zu gelangen! Selbst überschlagsmäßig hätte mir schwanen müssen, dass das eine Odyssee wird – oder ein zeitintensives Naherlebnis für gerade mal 1,80 € (46 THB für Bus und 20 THB für Songthaew).

Mit zum Angebotspaket gehört ein Busfahrer von der ganz ekligen Sorte. Ständig hustet er in seine Maske und rotzt die Soße dann auch noch aus dem Fenster hinaus. Ich träume derweil von der reinigenden Dusche, unter der ich jetzt bereits stehen könnte.

Wenigstens am Busterminal läuft es wieder wie geschmiert. Mit geteiltem Songthaew geht es noch die wenigen Kilometer nach Alt-Sukhothai und dort direkt bis vor mein schönes Guesthouse, das Old Town Boutique House, wo mich die süße Gastgeberin Joum schon sehnsüchtig erwartet und mir neben dem Schlüssel zu meinem Apartment auch gleich jede Menge Informationen überreicht.

Jetzt schnell unter die Dusche, damit ich im kleinen Örtchen rund um das Historical Center der alten Königsstadt Sukhothai noch ein bisschen die Abendstimmung genießen kann.

Der erste Eindruck gefällt mir ausgesprochen gut: Tolle Atmosphäre, gepflegte Garküchen und die Fressstände des Night Bazars können mit unseren Festival-Angeboten in Variation, Raffinesse, Optik und auch hinsichtlich der Öko-Verpackungen unbedingt konkurrieren. Bisher ist vor allem Letzteres in Thailand eine eher rühmliche Ausnahme.

Sukhothai gilt als die „Wiege Thailands“ und war das Zentrum des ersten siamesischen Königreichs mit einer flächenmäßig noch größeren Ausdehnung als das heutige Thailand. Auch die thailändische Sprache entwickelte sich in der über 200 Jahre währenden Sukhothai-Dynastie. Allein innerhalb der alten Stadtmauer finden sich die Überreste von 21 historischen Stätten, weitere 70 liegen außerhalb in einem Umkreis von 5 km. Kein Wunder also, dass die Ruinen von Sukhothai seit 1991 zum UNESCO Weltkulturerbe gehören. Und gut für mich, dass der Historical Park bereits um 6 Uhr öffnet und am morgigen Samstag, den 07.01.2023, sogar bis 21 Uhr offen ist.

Also, der frühe Vogel erlebt mehr! Um 5 Uhr erwache ich wunderbar ausgeschlafen und bereit für neue Abenteuer. Die To-Do-Liste ist wie immer lang: Dreckwäsche zur Reinigung bringen, Ticket für den Bus nach Ayutthaya besorgen, Drahtesel ausleihen, Eintrittskarten für den Historical Park kaufen … Aber am nahen Wat Tra Phang Thong bringt mich schon die spektakuläre Morgenprozession der Mönche aus dem Konzept. Es ist kurz nach 6 Uhr und noch dämmrig. Zuerst fallen mir die Verkaufsstände mit reich gefüllten Almosenkörben und Blumen am Straßenrand auf, die es dort gestern noch nicht gab. Und dann sehe ich sie sitzen, in Reih und Glied, über die ganze, wunderbar mit Lampions beleuchtete Brücke bis hin zum Wat:

Das Schauspiel nimmt seinen Lauf, die Smartphone-Kameras laufen heiß und spätestens hier verliere auch ich jede Scheu, die Mönche bei ihrem Almosengang abzulichten. Wie schon an anderer Stelle kann ich mich nicht wirklich des Eindrucks erwehren, dass die Care-Pakete nur Fake sind und bei nächster Gelegenheit an weitere, gutgläubige Spender verkauft werden. Auf jeden Fall „sahnen“ die Mönche dieses Wats ordentlich ab, sodass sie beim Tragen ihrer Almosen sogar noch Assistenz benötigen.

Erst eins, dann zwei …

Weiter geht es zu den beiden Busagenturen für meine Fahrt nach Ayutthaya. Der eine Anbieter offeriert nur eine Abfahrt um 9.30 Uhr, das ist mir eindeutig zu spät. Gut, dass auch das WinTour-Office bereits um diese Early-Bird-Uhrzeit geöffnet hat. Und obwohl der ältere Herr am massiven, kolonialistischen Holzschreibtisch nur radebrechend in Englisch kommuniziert, habe ich nach kurzem Hin und Her mein Fensterplatzticket für den morgigen Expressbus um 8.15 Uhr zur Old City Ayutthaya in der Tasche.

Nun kann ich ganz entspannt auf Entdeckungstour gehen oder besser gesagt fahren. Denn Sukhothai mit den weitläufigen Parkanlagen, den Seenflächen und den verstreut liegenden Ausgrabungsstätten ist wie geschaffen für eine Erkundung auf dem Drahtesel. Diesen gibt es für ganz günstiges Geld direkt bei der Historical Park-Kasse oder etwas teuerer bei einem ganz liebenswerten Radverleiher direkt gegenüber des Haupteinganges. Ein kurzes Probefahren und Testen von Bremse und Sitzhöhe, einen Kaffee und einen Smoothie und um 7.30 Uhr bin ich rundum startklar für die geschichtsträchtige Gemäuer-Rallye.

Wie die Perlen auf der Schnur reihen sich die ehrwürdigen Ruinen der Wats Mahathat, Si Sawai, Tra Phang Ngoen und Sra Sri aneinander und werden vor der sanften Bergkulisse vom mystischen Schein der aufgehenden Morgensonne ins perfekte Licht gesetzt. Dazu das Zwitschern der Vögel in den hohen, alten Bäumen, das Schimmern der Wasseroberfläche mit den Seerosen und nicht zuletzt die Ruhe vorm touristische Tagesansturm lassen mein Herz vor Freude springen. Einfach atemberaubend, zum Eintauchen, Genießen, Verweilen …

Mit vielen, vielen Fotostopps klappern Hasi und ich auf dem Drahtesel die einzelnen Tempel ab. Zentral der große Komplex des Wat Mahathat mit diversen Säulenhallen, Türmen und eindrucksvollen Buddha-Figuren:

Mächtiger erscheint der Khmer-Baustil des Wat Si Sawai ums Eck und erinnert mit seinen drei großen Türmen an Angkor Wat in Kambodscha:

Fast schon unscheinbar zierlich präsentiert sich der Wat Tra Phang Ngoen:

… während der Wat Sra Sri oder auch Sa Si mit seinem weißen, sitzenden Buddha von Wasser umgeben und nur über eine Brücke zu erreichen ist:

Die Hauptattraktionen des Zentralbereichs in Alt-Sukhothai habe ich damit fürs erste abgehakt und verlasse nun den Altstadtring nach Westen in Richtung Tak, eigentlich um das Wat Si Chum anzusteuern. Mmh, aber irgendwie finde ich die Einflugschneise nicht so recht. Ich fahre zwei-, dreimal die gleiche Strecke hin und her, kann aber partout keine Wegweiser entdecken. Auch Maps.me hilft mir wider Erwarten nicht weiter und mit den wilden Männern des Amulett-Straßenmarktes möchte ich auch nicht in Kontakt treten. Also entscheide ich mich kurzerhand, zuerst einmal in den West-Sektor zu fahren, um dort zum Wat Saphan Hin aufzusteigen.

Der Wat Saphan Hin ist wirklich eine Besonderheit und wieder freue ich mich, den Ort fast alleine genießen zu können. Wie ich schon von unten sehe, ist nur ein Thai und seine Mama oben auf dem Hügel zugange und natürlich hoffe ich, dass die beiden ihre Zeremonie und ihr Photoshooting bald abgeschlossen haben. Aber da habe ich mich schwer getäuscht. Ich lasse mir für den Aufstieg uuuunendlich viel Zeit, stehe dann noch eine ganze Weile etwas abseits und beobachtete das Schauspiel: Foto beim Beugen, beim Blumenablegen, beim Beten, von hinten, von vorne und seitlich nicht vergessen, allein, zu zweit … nur gut, dass es dieses Mal nicht wieder eine Großfamilie ist. Kurz erwäge ich, ihnen meine Hilfe anzubieten, aber nein, mich nervt diese „Selfie-Manie“ einfach nur, das muss ich nicht auch noch unterstützen. Mit einem entschuldigenden Blick in meine Richtung räumen sie dann irgendwann verschämt ihre Tüten und Packerl zusammen, unter anderem eine elektrische Zimmerleuchte, deren Kabel sie bis zu den Füßen der großen Buddha-Statue „verlegt“ haben, damit dessen Segen für gutes Karma „einfließen“ und im heimischen Wohnzimmer in Bangkok wirken kann.

Das Warten hat sich gelohnt, nun können Big-Buddha, Tiny-Buddha, Hasi und ich die Stille und diesen traumhaften Ausblick genießen.

Radfahren in und um Sukhothai ist selbst auf der Straße ganz entspannt und jetzt am Vormittag auch temperaturmäßig gut auzuhalten. Und da – ich traue meinen Augen nicht – sitzt ein Wiedehopf im Gras! Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich dieses hübsche Geschöpf, was für eine Freude! Er begegnet mir in Sukhothai noch zweimal und ich kann ihn mit dem Fernglas beobachten.

Beim Zurückradeln entdecke ich dann doch tatsächlich ein kleines, unscheinbares Schild zum Wat Si Chum. Zum Glück, denn dieser Tempel hat wieder eine ganz andere Atmosphäre. Die riesige Buddha-Figur Phra Achana steht in einem Art Sarkophag, einem rundum geschlossenen, engen, hohen Gebäudekasten mit nur einer spitz zulaufenden Einlassöffnung und ohne Dach. Sehr eigen und sehr schön, besonders die anmutige Hand mit den schlanken Fingern.

Hier und da nehme ich im Vorbeifahren noch ein paar weitere Tempel mit wie den Wat Phra Pai Luang im Khmer-Stil und Wat Sorasak mit Elefanten:

Nach einem einfachen Mittagsmahl im Sureerat Restaurant überkommt mich nach dem frühen Aufstehen und der ausgiebigen Ruinen-Rallye dann doch die Müdigkeit. Jetzt ist eine Siesta in meinem klimatisierten Apartment gerade recht. Wie schön, dass hier alles so nah beieinander liegt.

Erfrischt und ausgeruht fahre ich um 16 Uhr nach einem kurzen Stopp bei der Wäscherei (2 kg für 2,60 €) und dem Radl-Verleih noch einmal in den Geschichtspark, um Vögel zu beobachten und die Sonnenuntergangsstimmung einzufangen. Dabei bin ich an diesem Samstagabend mit den verlängerten Öffnungszeiten natürlich nicht allein.

Die Picknickplätze und Bänke beim Nachtmarkt sind ebenfalls gut besucht. Anscheinend ein beliebter Treffpunkt – auch für einheimische Familien. Zum Glück sind die sauleckeren Pfannkuchen mit Ei und Banane an diesem Abend schon ausverkauft! Auf meinem Geschmackserlebnis-Barometer landen diese gefüllten „Roti“ sogar noch vor „Mango Sticky Rice“. Wohingegen mir die Thai Crepes (Khanom Buang) dann doch wieder viiieeel zu süß sind.

Auf dem Heimweg besorge ich mir im 7/11 noch etwas Reiseproviant für die morgige Busfahrt nach Ayutthaya und ein kaltes „Feierabend“-Bierchen in bayernkonformer 620 ml Flaschengröße.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..