Nach dem Abstieg vom wunderschönen Köl Ükök soll es von Kochkor (1800 m) gleich weitergehen nach Naryn (2050 m). Die deutschsprechende Aishan aus dem Supermarkt in Kochkor freut sich, uns noch einmal zu sehen und organisiert uns an der wuseligen, männerdominierten Station ein Sammeltaxi. Angesichts unseres Gepäcks steigt der Transportpreis gleich mal von üblichen 200 auf 300 SOM. Schon beim Einsteigen bedauern wir, die Fahrzeugauswahl nicht selbst getroffen zu haben. Die Audi-Schrottkiste sieht nicht nur äußerlich völlig ramponiert aus, sie kann auch nicht mit „inneren Werten“ glänzen.
Aus den Polstern weht uns der Dreck und Staub von ungepflegten Jahrzehnten um die Nase. Natürlich ist wie üblich die Frontscheibe bereits mehrfach gesprungen, der Rückspiegel wird überbewertet und ist mit Blick durch die milchig-dunkle Rückscheibe auch völlig sinnentleert, neben den Fensterkurbeln fehlen die Anschnallstecker der Rücksitze und diverse andere Tasten und Hebel … Na, hoffentlich funktionieren wenigstens Lenkrad und Bremsen.

Nach einiger Wartezeit und diversen Verhandlungen sind zwei weitere Mitfahrer nach Naryn gefunden. Vorne nimmt eine schick gekleidete Frau mit mondäner Sonnenbrille auf dem versifften Beifahrersitz Platz. Hinten gesellt sich ein junges Mädel von ca. 15 Jahren zu uns, dessen Familie zum Abschied winkt.
Um 14 Uhr kann es dann endlich voll beladen losgehen! Bis zum ersten Stopp nach nur 5 Minuten: hurtig steigt die junge Tochter der Frau auf dem Beifahrersitz zu ihr auf den Schoß. Und weiter geht’s … für 5 Minuten: wir halten im Nirgendwo am Straßenrand, das Mädel von hinten wird zum Beifahrersitz dirigiert, wir sollen durchrutschen, um die Frau mit Kind hinten rechts einsteigen zu lassen. Das einzig zu öffnende Fenster ist damit passé. Lea und ich schauen uns irritiert an. Was war das nun für eine Aktion? Kurze Zeit später passieren wir eine Polizeistreife, vielleicht der Grund für die Umgruppierung von Mutter und Kind nach hinten?! Anstatt endlich Fahrt aufzunehmen für die 120 km lange Strecke nach Naryn finden wir uns wenige Minuten später an der Zapfsäule wieder. Ja, klar, erst mal her mit den kirgisischen Kröten, damit überhaupt was weitergeht. Mit dem Betanken unserer Schüssel haben wir hoffentlich die letzte Hürde genommen und die Reise kann wirklich beginnen.

Die Landschaft ist toll, Hügel und Berge in allen Farben und Schattierungen sausen links und rechts der bestens asphaltierten Straße nach Süden vorbei und rücken am Dolon-Pass immer näher zusammen. Pferde und Kühe ziehen hier und da ihrer Wege auf dem warmen Asphalt – wollen sie auch nach Naryn?! Dann wird unsere schnelle Fahrt, für die der Tachozeiger nur schlappe 20 km/h bei 3000 Umdrehungen anzeigt, jäh gestoppt und wir stehen in einem animalischen Stau.



Lea bemängelt die mangels defektem Radio fehlende kirgisische Musik. Aber unserer Fahrer agiert einige Kilometer vor Naryn noch aktiver mit dem Handy als auf Kirgistans Straßen sonst üblich. Mit einem Wink und ein paar Brocken Englisch gibt er mir das Teil in die Hand. Sein Bruder ist am anderen Ende der digitalen Leitung und erarbeitet schon fleißig unseren Aufenthalt in Naryn einschließlich Besuch von Tash Rabat. Wie enttäuscht ist er, als ich im sagen muss, dass wir schon mit dem CBT in Naryn in Kontakt sind und eine 3-Tages-Tour dort gebucht haben.
Zwischen den steilen Felshängen schlängelt sich auf dem letzten Stück nach Naryn ein idyllischer Fluss durch das Tal, gesäumt von ebenso idyllischen Jurten und idyllisch grasenden Pferden, Kühen und Schafen. Unser Tempo ist trotz den angezeigten 20 km/h nicht so idyllisch, um Fotos zu schießen.

Nach gut zwei Stunden setzt uns unser Taxler fast direkt vorm CBT-Office ab. Dass wir dabei vergessen, ihm die zweiten 300 SOM zu geben, war sicher keine Absicht. Er hat es aber selbst bald gemerkt und kommt uns hinterher. Mittlerweile ist es beste Kaffeezeit und der im CBT angebotene Cappuccino deshalb genau das Richtige. Die übereifrigen jungen Studenten und Volunteers im CBT-Office wetteifern offensichtlich miteinander, wer wohl mit den gestrandeten Touris den längsten Small-Talk bestreiten kann. Es ist ja mal ganz schön, Englisch sprechende Kirigisen/Innen um sich zu haben, aber doch nicht gleich so viele auf einen Schlag?! Die Preise für Kaffee und Tee sagen schon aus, welchen Stellenwert beide Getränke in Kirgistan haben. Kaffee wird von Einheimischen praktisch gar nicht getrunken, kostet 100 SOM, Chai gibt es hingegen zu allen Tageszeiten und jeder Gelegenheit, kostet 10 SOM.
Nach ca. 1 Stunde hat Gulira, die Chefin des CBT vor Ort, endlich Zeit für uns. Unser Permit für die Grenzregion zu China ist da. Nur mit diesem Permit können wir zu den beiden Seen Chatyr Köl und Kel Suu. Wir verstehen zwar nicht, warum wir auf kirgisischem Hoheitsgebiet von Chinesen kontrolliert werden können, aber so ist es nun mal.
Die Eckdaten der geplanten 3-Tages-Tour stehen ja bereits fest und Gulira schlüsselt uns noch einmal die Kosten auf. Los geht es erst am übernächsten Morgen in der Früh, wo wir vom Guesthouse abgeholt werden und für die vollen drei Tage einen eigenen Fahrer mit 4-Wheel-Drive haben. Wir müssen uns hier in Naryn sowohl mit Geld als auch mit ausreichend Wasser eindecken.
Verwundert nehmen wir Guliras Angebot an, uns zur Bank zu fahren, und erfahren dabei, dass sich der Ort Naryn über mehrere km an einer Straße entlang ausdehnt. Es gibt also keine Seitenstraßen, nur die Hauptstraße und den gleichnamigen Fluss. Was es auch nicht gibt, sind Dollar an den drei ATMs unserer Wahl.


Auch das Guesthouse des CBT liegt nicht „ums Eck“ und wir schleppen unser Sack und Pack mühsam die Steigung hinauf. Das Zimmer ist gemütlich, die Hausherrin bedingt freundlich und englischsprachig.


Nach einer erfrischenden Dusche machen wir uns wieder auf den Weg in die Stadt zum Abendessen. Verlaufen kann man sich hier auf jeden Fall nicht. Von außen betrachtet eher an Blumsklohäusel oder Baustellenabsperrungen erinnernd, soll das Schaschlik-Restaurant hier wohl nicht schlecht sein.

Der Hunger ist groß, die Speisekarte lang und für uns völlig unleserlich. Wir erkämpfen uns eine Übersetzung unter Zuhilfenahme von Google und Translator. Alles ganz schön fleischlastig, hammelfleischlastig … aber hier die Pirozhok, das sind gefüllte Teigtaschen – da bin ich mir sicher und Google auch!
Aber die Bedienung oder der Koch oder wer auch immer ist da ganz anderer Meinung als Google und ich. Hier die Soll- und Ist-Ansicht unseres Abendessens.

Sorry, Ochsenschwanzragout oder was immer hier auf dem Teller liegt, ne, geht bei mir leider gar nicht. Da muss bis zum Frühstück wohl das flüssige Brot ausreichen, Gute Nacht!

Den freien Donnerstag lassen wir gemütlich angehen mit spätem Frühstück und einem entspannten Bummel am Naryn-Fluss entlang, der mit über 500 km (Wikipedia) oder auch über 800 km (Reiseführer) Länge einer der größten und wasserreichsten Flüsse Kirgistans ist.


Immer mit Blick auf die heruntergekommenen Sowjet-Wohnblöcke der 70er Jahre, schlendern wir über die Hängebrücken in die Stadt.


Dann geht’s für schlappe 4,7 km immer geradeaus vorbei am Erkindik-Platz – und schwupps, schon ist man bei der im Reiseführer als sehenswert genannten Asreti-Ali-Moschee.


Meine nackten Füße in den Flip-Flops werfen schon Blasen. Dabei sollte man in kirgisischen Ortschaften und Städten innerorts unbedingt festes Schuhwerk anziehen, zumindest als Tourist. Da wo Einheimische mit Latschen und Absatzschuhen graziös über unebene Pflastersteine, fehlende Gullideckel, breite Wasserrinnen, Baustellenaufschüttungen, marode Treppen, staubige Feldwege und nasse Pfützen hinweghuschen, treten wir in jedes bereitliegende Fettnäpfchen. Wen wundert’s, schließlich sind in Deutschland die Baustellen aufgeräumter und abgesicherter, als die Bürgersteige und Straßen in Kirgistan.



Tapfer marschieren wir die 4,7 km auch wieder zurück – nur kurz aufgehalten von einer überfreundlichen russischen Dame, die 15 Minuten ununterbrochen wild gestikulierend und mit euphorischer Freude auf uns einredet, obwohl wir doch gar kein Wort verstehen – um uns im CBT-Office mit einem teuren Kaffee (Andrea) und einem günstigen Chai (Lea) zu belohnen. Lea hat schon den Postkarteneinkauf getätigt und schreibt fleißig, während ich versuche, die ständig lauernden Volunteers vom Small-Talk und Englisch üben abzuhalten, indem ich meinen Blick in mein Smartphone versenke.
Gegen Abend haben wir mit Gulira noch den Besuch einer „Eagle Hunting Show“ in der Nähe von Naryn vereinbart. Deshalb bereiten wir im Guesthouse schon mal unser Gepäck für den bevorstehenden 3-Tages-Trip vor. Ach ja, und etwas Warmes essen sollten wir ja vielleicht auch noch, wenigstens einmal am Tag. Um 18.45 Uhr sollen wir beim Office sein, um zum Eagle Hunter zu fahren. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, also entschließen Lea und ich uns kurzerhand für ein Take-away auf die Hand. Leider fällt auch hier die Auswahl nicht leicht, irgendwie schaut alles so schäbig und „mitgenommen“ aus. Im ersten Imbisswagen bequemt sich das junge Ding fast noch nicht einmal zum Aufstehen, das blöde Geschau dazu lässt unsere Hoffnung sinken, in diesem Schuppen noch irgendetwas Nahrhaftes zu bekommen. Auf zum Nachbar-Laden, wo zwei junge Frauen wohl wenigstens noch ein minimales Interesse daran haben, etwas zu verkaufen.

Die Sprachbarriere ist wieder groß. Wir können uns verständigen, dass wir – der Einfachheit und Schnelligkeit wegen – Mantis (gefüllte Maultaschen) essen. Auf die Frage „Wie viele?“ antworten wir mit „4 for me, 4 for her“. Macht nach Adam-Riese 8 zusammen. Dauert nur 5 Minuten meint die Dame engagiert … kirgisische 5 Minuten sind lang, aber wie lang?
Nach 15 Minuten schaue ich ums Eck in die Küche und sehe die Köchin mit dem Dämpftopf hantieren. Mein fragender Blick wird mit „only 5 minutes“ beantwortet. Da wir etwas in Eile sind, schlage ich vor, wenigstens schon mal zu bezahlen. Sie macht mir die Rechnung auf und verlangt 440 SOM. Oh, sage ich, das ist aber teuer und unterstreiche meine Überraschung mit einem weltweit verständlichen Daumen-Zeigefinger-Wischen. Auf dem Notizblock rechnet mir die Chefin dann vor: 4 Portionen Mantis = 4 x 5 Mantis = 20 Mantis, 20 Mantis x 2 Personen = GENAU 40 MANTIS! Um Gottes Willen, welch ein Missverständnis, wer sollte die essen! Die Köchin nimmt das Versehen recht gelassen, ich nehme an, die zuviel gegarten Mantis werden morgen erneut aufgewärmt. Wir eilen hurtig mit unserem Take-away von dannen.

Um 18 Uhr fahren wir dann mit Aizhamal vom CBT-Office vor die Tore Naryns zu Aman und seinen beiden Adlern. Die Unterkunft der prächtigen Vögel in einem dunklen, niedrigen Stall schockiert uns zuerst einmal. Wir sind deshalb froh, dass wir mit den Vögeln nach draußen gehen und … sie selbst halten dürfen. Boah, welch ein Gefühl, diesen Tieren so nah zu sein, in die Augen zu schauen und dabei das Vertrauen zu haben, dass sie ihren Schnabel und ihre Krallen nicht zum Einsatz bringen.



Der junge Adler wiegt 6 kg, der große, Ojmok, Champion der World Nomad Games, stolze 9 kg. Aman mit seiner Zahngold-Front ist auf jeden Fall super nett, nimmt sich sehr viel Zeit für uns und beantwortet uns stolz jede gestellte Frage. Unter anderem erfahren wir, dass die Adler die 5-stündige Fahrt nach Cholpon-Ata zu den World Nomad Games doch tatsächlich einfach als Passagier im Taxi oder Privatauto unternehmen. Aizhamal hat es selbst einmal erlebt, das Taxi mit einem käfiglosen Adler zu teilen. Später gesellt sich noch eine ganze Kinderschar von einem Fest in der Nachbarschaft zu uns. Auch hier bleibt der große Raubvogel völlig relaxt und lässt sich von einer Traube von Kinderhänden anfassen. Ein wirklich tolles Erlebnis!


Und auf der Heimfahrt nach Naryn verabschiedet sich der Tag mit einem wunderbar goldenen Abendlicht von uns.


Hallo Andrea ,dachte schon die Reise wär zu ende und ich denk immer Du schreibst von unterwegs .
Du traust dich ganz schön was mit dem Adler ,aber der steht dir so auf dem Arm ,solltest dir einen zulegen ,der liebt seine freien Flüge sicher so wie Du deine Reisen !!!
Grüßle Reinhard
Eigentlich schreibt man ein Blog auch aktuell, aber ohne Internet im Jurten-Outback ist das einfach nicht machbar 😀
Hi Andrea, faszinierend, wie du uns „Zurückgebliebenen“ an deinen / euren tollen Reise-Erlebnissen teilnehmen lässt! Viele weitere Eindrücke und eine schöne Zeit noch für dich!!
Werner
Leider schon wieder vorbei Werner… Ich schreibe wieder mal verspätet hinterher, aber trotzdem nah dran am Erlebten 😉